Da geht's lang: Hansi Flick schaut der Katar-WM optimistisch entgegen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Federico Gambarini/dpa)

Beim heißen Thema WM-Auslosung setzte Hansi Flick mal kurz ein Pokerface auf und gab den Mister Cool.

Der Kurztrip ins tagsüber mehr als 30 Grad warme Katar zur Ziehung der drei deutschen Gruppengegner an diesem Freitag (18.00 Uhr) wird die Herzfrequenz des Bundestrainers wohl kaum so in die Höhe treiben, wie es die für den Bundestrainer erkenntnisreiche Zwischenprüfung auf dem Weg zum WM-Turnier gegen den Erzrivalen Niederlande zeitweise vermochte.

Die 90 Minuten Fußball auf Topniveau mit dem allseits als gerecht empfundenen 1:1 lieferten Flick eine gute Arbeitsgrundlage für die nächste Zusammenkunft der Nationalelf im Juni. «Da können wir uns freuen auf die Spiele in der Nations League», sagte der 57-Jährige mit Blick auf gleich vier Partien gegen Italien (zweimal), England und Ungarn innerhalb von zehn Tagen.

WM-Titel bleibt das Ziel

Das vom Bundestrainer und auch von Kapitän Manuel Neuer offensiv ausgerufene Ziel WM-Titel hat trotz der gerissenen Siegesserie unter Flick in Amsterdam keinen Schaden genommen. Es belegte vielmehr das vorhandene Potenzial in einem Kader, dem zum Jahresstart etliche Leistungsträger wie das Bayern-Quartett Kimmich, Goretzka, Süle, Gnabry fehlten. Flick sprach aber auch die Mängel an: Ballverluste, fehlende Ruhe in kritischen Phasen, falsche Positionierungen.

An Flicks Gesamteindruck änderte das freilich nichts: «Es war ein gelungenes Spiel.» Und am Ausblick auch nicht. «Der deutsche Fußball hat eine Tradition der Erfolge. Da wollen wir wieder hin», verkündete der Chefcoach rückblickend auf das frühe Scheitern bei der WM 2018 und der EM 2021 in der Spätphase des Wirkens von Joachim Löw.

Nach einem kurzen Kleiderwechsel daheim in Bammental jettet Flick mit einer DFB-Delegation um Oliver Bierhoff am Donnerstag gleich wieder los ins sechs Flugstunden entfernte WM-Gastgeberland. Aufgeregt? Angespannt? Angstvoll gar? Nichts davon. Flick ist nach vielen Jahren als Löw-Assistent ein Auslosungsprofi. «Wir müssen da einfach sitzen, zuschauen und danach unsere Meinung zur Gruppe abgeben. Wir gucken, was kommt und versuchen, das Beste daraus zu machen», sagte er.

DFB-Team in Lostopf zwei

Was kann kommen? Der viermalige Weltmeister Deutschland ist wie Holland im zweiten Lostopf gesetzt. Aus Topf eins könnte man Belgien, Brasilien, Frankreich, Argentinien, England, Spanien, Portugal oder Gastgeber Katar erwischen. Maximal ein europäischer Kontrahent kann dem DFB-Team zugelost werden. Da drei der 32 WM-Teilnehmer noch gar nicht feststehen, könnte es auch passieren, dass Flick nach der Zeremonie erst zwei der drei deutschen Vorrundengegner kennt.

Die deutsche Gruppe könnte anspruchsvoll und namhaft – Brasilien, Polen, Kamerun – ausfallen. Oder wie ein Freilos klingen: Katar, Kanada, Tunesien. Ein Versprechen gab Flick schon vorab: «Auf die Aufgaben, die wir bekommen, werden wir uns top vorbereiten.»

Bondscoach Louis van Gaal erhob Duitsland jedenfalls gleich mal in den Kreis der größten Anwärter auf die WM-Krone. «Deutschland ist ein Top-Kandidat für den WM-Titel», sagte der ehemalige Bayern-Trainer, als er kurz vor Mitternacht bei Kaffee und Keksen das Testspiel analysierte: «Die erste Halbzeit konnten wir uns nicht lösen vom Druck der Deutschen. Aber unsere zweite Halbzeit war fantastisch.»

«Einfach erfrischend»

Zuvor hatte Flick im Pressesaal auf dem Podium gesessen und klang nach seinem ersten nicht gewonnenen Spiel als Chefcoach begeisterter als nach allen acht Siegen gegen internationale Leichtgewichte zuvor. «Einfach erfrischend», fand er die dominanten ersten 60 Minuten mit dem Führungstor von Thomas Müller, der zum 43. Mal im Nationaltrikot traf und damit Ehrenspielführer Uwe Seeler auf Platz acht einholte.

«Ich weiß, dass wir über 90 Minuten diese Leistung abrufen müssen. Aber die Intensität von der Mannschaft war enorm hoch», resümierte Flick. «Die Richtung stimmt», befand Müller. Bayern-Kollege Neuer urteilte: «Wenn man einen Strich drunter zieht, sind wir auf einem sehr guten Weg. Es war die erste große Mannschaft, gegen die wir gespielt haben – und das über weite Strecken ordentlich.»

Es gab aber eben auch eine Phase des Kontrollverlustes nach der Pause mit dem Ausgleichstor von Steven Bergwijn (68. Minute) und dem Glück eines nach Videobeweis zurückgenommen Elfmeters nach einem Zweikampf von Thilo Kehrer mit Memphis Depay. «Für die Zuschauer war es ein Topspiel. Ich bin im Großen und Ganzen sehr zufrieden», sagte Flick.

Großer Gewinner Musiala

Er nimmt aus dem ersten Lehrgang 2022 viele Erkenntnisse mit. Großer Gewinner der Woche war Jamal Musiala. Das 19 Jahre alte Bayern-Talent katapultierte sich mit einem forschen Auftritt sogar zu «einer Option» auf der bedeutungsvollen Sechser-Position, wie Flick sagte: «Jeder Einzelne hat gesehen, was für eine Qualität er hat.» Der Hochgelobte entwächst auch verbal dem «Bambi»-Status. «Ich mache das schon gut. Ich bin auf einem guten Weg», sagte Musiala selbstbewusst.

Auch die U21-Europameister Nico Schlotterbeck und David Raum, der das 2:0 hätte erzielen können, konnten weiter für ein WM-Ticket punkten. «Der Kader wird immer größer», sagte Flick erfreut. Die beliebte Frage nach schon vergebenen Kaderplätzen wehrte er ab: «Es ist noch ein weiter Weg bis November. Da kann noch so viel passieren.»

Härtefälle deuten sich an. «Es macht es für uns ein bisschen schwieriger, aber ist für die Qualität im Team gut», sagte Flick: «Wir freuen uns, dass jetzt im März, wo wir Dinge ausprobieren wollten, der Plan aufgegangen ist.» Und das sogar mal ohne Sieg.

Von Klaus Bergmann und Arne Richter, dpa

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