Der 1. FC Union steht nach vier Bundesliga-Spieltagen bereits bei zehn Punkten. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Andreas Gora/dpa)

Auch diese Hürde meistert der König des Understatements mühelos. «Es ist eine Momentaufnahme», sagt Trainer Urs Fischer vor dem bislang wohl größten Spiel des 1. FC Union Berlin unter seiner Führung. «Wir haben nicht den Spitzenkampf im Kopf.»

Trotzdem führt kein Weg daran vorbei: Der Stadtteilclub aus Köpenick könnte am Samstag (15.30 Uhr/Sky) mit einem Sieg gegen den FC Bayern München die Tabellenführung der Fußball-Bundesliga übernehmen.

Es wäre der nächste Höhepunkt im stetigen Aufstieg der Eisernen, die vor drei Jahren noch in der 2. Liga spielten und zuletzt zweimal in Folge in den Europapokal einzogen. Leuchtende Augen bekommt der Schweizer wie üblich, wenn es um den Wettkampf geht. Im ausverkauften Stadion An der Alten Försterei gegen die vielleicht beste Mannschaft der Welt, wie Fischer sagt. Bayern-Trainer Julian Nagelsmann lobt die Entwicklung beim Gegner am Samstag. Fischer zeichne aus, «dass er die nötige Ruhe in gewissen Situationen hat. Und die sportliche Leitung macht sehr gute Transfers.»

Der 1. FC Union meistert Umbruch nach Umbruch

Mehr noch als jeder Spieler sind Fischer und Geschäftsführer Profifußball Oliver Ruhnert die Gesichter des Erfolgs von Union. Unter der Führung von Präsident Dirk Zingler, der sein Herz für den Club mit seiner Erfahrung als Geschäftsmann verbindet, haben die beiden offenbar auch den nächsten Umbruch im Kader gemeistert.

Saison für Saison verlassen Leistungsträger den Club, allein in diesem Jahr Marvin Friedrich, Max Kruse und Grischa Prömel. Saison für Saison werden sie scheinbar mühelos ersetzt. Ruhnert und die Scouting-Abteilung finden mit einer hohen Trefferquote Spieler, die perfekt zu Union und ins begrenzte Budget passen. Mit noch nicht vollem oder beim aktuellen Club nicht mehr ausgeschöpftem Potenzial. Profis, die das System Fischer akzeptieren und schnell verinnerlichen.

Der Schweizer hebt die Bedeutung des Umfelds für die schnelle Integration hervor. «Es geht sehr familiär bei uns zu. Viele Leute versuchen, für die Jungs da zu sein, gerade in der ersten Zeit», sagt der 56-Jährige.

Mit zunehmendem Augenrollen reagieren Beobachter auf die zurückhaltende Zielsetzung der Köpenicker: Klassenerhalt und nicht Europa. Doch das Narrativ vom kleinen Stadtteilclub, der die Großen ärgern will, passt perfekt zu Union – im Selbstverständnis des Umfelds und auch sportlich. Dass Fischer, Ruhnert und Zingler extrem ehrgeizig sind, ist kein Widerspruch zu dieser Erzählung.

Die Mannschaft funktioniert als Kollektiv

Fischer schafft es immer wieder, dass seine Mannschaft auf dem Feld als Kollektiv reibungslos funktioniert. Eklig und diszipliniert in der Defensive. Schnörkellos, zielstrebig und effektiv auf dem Weg nach vorne. Brechen Stützen weg, rücken andere nach. Kapitän Christopher Trimmel, Abwehrchef Robin Knoche und Rani Khedira bilden das aktuelle Gerüst.

Die außergewöhnliche Fankultur und das Stadionerlebnis in Köpenick haben den Club auch außerhalb der Hauptstadt zu einer Marke gemacht. «Wir bekommen aus ganz Deutschland viel positives Feedback», sagt Ruhnert. Bislang meistert der Club diesen Spagat aus Fußball-Romantik und immer größerem Erfolg.

Der Kampf um die Tabellenspitze dürfte tatsächlich eine Momentaufnahme bleiben. Union könnte langfristig aber den Weg des SC Freiburg gehen: Als Kultclub, der sich in der oberen Tabellenhälfte festbeißt und in guten Jahren um Europa mitspielt. Doch auch hier ergibt die Vorsicht in Köpenick Sinn: Die Fehlermarge ist bei kleinen Vereinen schlicht kleiner als bei der finanzstärkeren Konkurrenz. Umbrüche sind immer risikobehaftet.

Von David Langenbein, dpa

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