Stefan Kuntz reagiert am Spielfeldrand. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Uncredited/AP/dpa)

Wer Hansi Flick über Jamal Musiala reden hört, oder über Florian Wirtz, dem wird um die Zukunft des deutschen Fußballs erst einmal nicht bange.

«Wir haben schon in den nächsten Jahren richtig gute Talente», sagte der Bundestrainer, nachdem seine Auswahl bei der WM in Katar maßlos enttäuscht hatte. Der Nachsatz des 57-Jährigen bestätigte aber, was den in dieser Frage zerstrittenen Deutschen Fußball-Bund lange beschäftigt: «Da geht es schon in die richtige Richtung, aber wir müssen schauen, was danach kommt. Jamal ist nicht in Deutschland ausgebildet, er ist in England ausgebildet.»

«Talente entdecken und fördern»

Nach der zweiten desolaten WM-Leistung in Folge rückt das 2018 vom DFB und der Deutschen Fußball Liga initiierte «Projekt Zukunft» für den Nachwuchs erneut stärker in den öffentlichen Fokus. Im Kern geht es um Maßnahmen und Umstellungen in der Ausbildung, beispielsweise «altersgerechte Spiel- und Wettbewerbsformen» und weiterführende Trainingsarbeit.

Mit aller Macht sollen Talente entdeckt und gefördert werden. Die Umsetzung scheiterte bislang am Widerstand aus den Landesverbänden. Dem Projekt Zukunft fehlt die Einheit.

«Ich habe da von meiner Seite erheblichen Druck drauf gegeben, weil ich glaube, dass wir da zu einem Ergebnis kommen müssen», sagte DFB-Präsident Bernd Neuendorf. Weniger für die Heim-EM 2024, die Flick mit den schon bekannteren Talenten wie Musiala (19) und Wirtz (19) angehen wird. «Aber für die Folgeturniere», sagte Neuendorf.

Es ist die nicht mehr neue Frage danach, warum der mitgliederstärkste Fußball-Verband der Welt nicht in dem Maße Toptalente auf allen Positionen hervorbringt, wie das beispielsweise WM-Finalist Frankreich, Spanien und aktuell auch England tun.

«Es gab bereits verschiedene Ansätze im deutschen Fußball, die wurden aber nicht immer von allen mitgetragen. Da sind ein Stück weit auch diejenigen, die das nicht mitgetragen haben, in der Verantwortung», sagte der langjährige U21-Nationaltrainer Stefan Kuntz der Deutschen Presse-Agentur.

Die zwei EM-Titel der Junioren mit Kuntz zwischen 2016 und 2021 widersprechen oberflächlich betrachtet der These, dass nicht genug Jungprofis nachkommen. Aber wie viele haben das Potenzial zur Weltklasse, die für den DFB Anspruch war? Die weiteren U-Klassen sind längst nicht so erfolgreich. Die letzte Teilnahme an einer U19-EM datiert von 2018. Bei der U17-WM war der deutsche Nachwuchs zuletzt 2017 dabei.

«Ein klassisches Land der Mittelstürmer»

«Hansi Flick hat völlig recht, dass wir zum Beispiel bei Mittelstürmern keine große Auswahl mehr haben», sagte DFL-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke. «Dabei war Deutschland immer ein klassisches Land der Mittelstürmer. Von Uwe Seeler über Gerd Müller bis zu Rudi Völler. Das ist schlecht, da müssen sich die Vereine hinterfragen.»

Wie auch Kuntz führt der Vorsitzende der Geschäftsführung von Borussia Dortmund das föderale deutsche System mit autonomen Landesverbänden und Vereinen an. Diese Struktur sei manchmal «sehr schön», führe aber auch zu Problemen.

«In Frankreich zum Beispiel ist es zentralistischer, schon von der Historie her. Da wird gesagt, es wird jetzt ein Zentrum dorthin gesetzt, und dann sagen die Franzosen, ja okay. In Deutschland gäbe es erst einmal einen Riesenaufschrei.», sagte Watzke.

Der erfahrene Trainer Jorge Valdano aus dem neuen Weltmeisterland Argentinien brachte in der «Süddeutschen Zeitung» die Kritik an einer Art Überfürsorge für Megatalente ins Spiel. «Heute wird auf der Basis des Auswendiglernens gespielt – weil die Ausbildung von der Straße in die Akademien verlegt wurde», sagte der 67-Jährige.

«Die Akademien haben die durchschnittlichen Spieler besser gemacht, aber die Unterschiedsspieler schlechter. Weil alle den Ball auf die gleiche Art berühren, weil alle gleich laufen müssen. Das konditioniert das Spiel. Wenn du einem Spieler Freiheit geben willst, muss er heutzutage erst verlernen, was er sich angeeignet hat», erklärte Valdano, selbst Weltmeister von 1986.

Flick: «In der Ausbildung Dinge anders machen»

Die K.o.-Runde der WM ließ nicht zu Unrecht die Frage aufkommen, wie die deutsche Nationalmannschaft gegen die Franzosen und Argentinier und deren Tempofußball bestanden hätte. Nur mit dem Überangebot an hochbegabten offensiv ausgerichteten Mittelfeldspielern – das Alter betrachtet, gehört auch Champions-League-Sieger Kai Havertz (23) noch zu den Talenten – wird keine WM gewonnen.

Die DFL listet aktuell 56 Leistungszentren der Vereine von der Bundesliga bis zur Oberliga auf. Musiala, dem Deutschlands Rekordnationalspieler Lothar Matthäus Weltfußballer-Fähigkeiten bescheinigt und der in Katar zu den wenigen deutschen Lichtblicken gehörte, war sieben Jahre alt, als seine Familie nach England zog. Dort wurde sein Talent entwickelt.

«Die Ergebnisse und das Ausscheiden muss man einberechnen», sagte Flick zur Einordnung des Weltklasse-Anspruchs. «Trotzdem haben wir Spieler, die bei Top-Vereinen spielen. Ich sage schon: Wir haben Qualität. Wichtig für die Zukunft des deutschen Fußballs ist, dass man in der Ausbildung Dinge anders macht.»

Jan Mies und Miriam Schmidt, dpa

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