Transfermarkt-Tinder: KI und die Suche nach dem neuen Messi
Hoffenheims Chefscout Paul Pajduch setzt bei der Talentsuche auf Daten. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Jan-Philipp Strobel/dpa)

Wie Schatzsucher auf der Jagd nach dem nächsten Rohdiamanten flogen Fußball-Scouts einst um den halben Globus. In staubigen Stadien am Rand von Buenos Aires oder auf klapprigen Tribünen im brasilianischen Hinterland spürten sie passende Talenten für den eigenen Club auf. Diese romantische Vorstellung passt nicht mehr zur modernen Realität.

Anstatt im mit Juli-Beginn wieder geöffneten Transferfenster auf Bauchgefühl und Notizblock zu setzen, verlassen sich die Vereine vor allem auf Daten. 

Winter-Transfer dank KI

Paul Pajduch verbringt daher mindestens die Hälfte seines Arbeitstages am Laptop, die andere am Handy. «Um mich nach den Spielern zu erkundigen, die zu unserer Spielidee passen könnten. Wir haben mehrere Anbieter, die umfangreiche Informationen zu Tausenden von Spielern liefern», berichtet der Leiter der Hoffenheimer Scoutingabteilung der Deutschen Presse-Agentur. 

Dazu zählen auch physische Infos. Wie etwa die Anzahl intensiver Läufe, die maximale Geschwindigkeit oder auch die Erfolgsquote im Dribbling oder Zweikämpfen. «Diese Informationen bündeln wir in einem eigenen Analysetool. Mithilfe von KI können wir so gezielt Talente identifizieren, die – basierend auf den Daten – gut zu unserer Spielphilosophie passen», erklärt Pajduch weiter. 

Ein Spieler, den Hoffenheim auch dank KI-gestützter Datenanalyse verpflichtet hatte, ist Bazoumana Touré. Der Offensivspieler ist seit dem Winter bei der TSG und kam in 13 Spielen auf drei Torvorlagen. «Touré hatten wir zwar vorher schon auf dem Schirm, aber das Ergebnis der Datenanalyse hat unser Gefühl noch einmal bestätigt», sagt Pajduch. 

Per Knopfdruck zum Wunschspieler

Ob ein versierter Spielmacher aus der zweiten französischen Liga oder ein laufstarker Außenverteidiger aus Chile: «KI-gestützte Programme durchleuchten Leistungsdaten, analysieren Bewegungsprofile und prognostizieren Entwicklungspotenziale – und das in Sekundenbruchteilen», sagt Sportwissenschaftler Daniel Memmert von der Deutschen Sporthochschule. 

Ein Beispiel: Der FC Liverpool sucht einen Mittelfeldspieler, der im Pressing stark ist und viele Assists liefert. Das System spuckt nach Eingabe dieser Leistungsindikatoren passende Spielern aus, die nun gezielt im Stadion beobachtet werden können. Das spart Zeit. 

Quasi wie Tinder für den Transfermarkt. Kaderplaner tippen ihre Präferenzen ein in der Hoffnung auf ein Perfect Match.

Ersetzt die KI Menschen? 

Worin sich alle einig sind: KI nimmt den Scouts nicht die Arbeit ab, sondern unterstützt sie. «Indem sie eine erste Vorauswahl trifft. So wird die Arbeit der Kaderplaner effizienter», erklärt Memmert. Zudem brauche es Fachleute, die entscheidende Parameter festlegten und die Systeme programmierten. 

Die fußballerische Qualität eines Spielers ist aber nur ein Aspekt. Auch sein Persönlichkeitsprofil muss passen. Schließlich ist die Chemie in der Kabine mitentscheidend für den Erfolg auf den Platz. 

Das weiß man auch bei Zweitligist 1. FC Nürnberg. «Wir kooperieren mit einem norwegischen Institut, das uns datenbasierte Persönlichkeitsprofile von Spielern zur Verfügung stellen kann», sagt Sportvorstand Joti Chatzialexiou. Dabei würden unter anderem Inhalte aus Social-Media-Auftritten oder Interviews analysiert.

80.000 Teilnehmer bei Pilotprojekt in Brasilien

Anbieter gibt es viele. Mithilfe der App Cuju können sich Talente weltweit bei Übungen filmen. Die KI gibt eine Bewertung ab und erstellt am Ende eine Rangliste. Beim Pilotprojekt in Brasilien nahmen 80.000 Talente teil. Ein Erfolgsbeispiel: Die 14-jährige Marcela Geremias wurde so entdeckt und erhielt einen Jugendakademie-Vertrag beim Club Corinthians São Paulo.

Eine andere Plattform ist Scoutastic. Der Anbieter kombiniert Berichte von Vereinen mit Spielerdaten von transfermarkt.de und analysiert diese mit Hilfe von KI. «Dies ermöglicht den Vereinen, objektive Daten wie zum Beispiel Position, Marktwert oder Vertragslaufzeit mit Insights aus textbasierten Scouting-Berichten zu verknüpfen und so alle der etwa 1,3 Millionen auf Transfermarkt gelisteten Spieler anhand vereinseigener Kriterien zu filtern», teilte ein Sprecher der dpa mit. 

Roboter-Coach in Norwegen: «The Artifical One»

Wie sehr verschlingt die KI den Fußball? Der norwegische Club Ham-Kam zeigt, was möglich ist. Bei einem Freundschaftsspiel setzte der Verein einen vollständig von KI gesteuerten Trainer ein. «The Artificial One» traf eigenständig Entscheidungen zu Taktik, Aufstellung und Auswechslungen, basierend auf Millionen von Datensätzen. Steht also bald ein Roboter an der Seitenlinie?

«Nein», meint Memmert. Dazu fehlten der KI Unmengen an Daten, die einen Fußballer ausmachten, etwa die Körpersprache. «Aber wir bewegen uns schon jetzt darauf zu, auf den Trainerbänken eine Art Race-Cockpit wie in der Formel 1 zu bekommen, um während des Spiels Simulationen machen zu können. Beispielsweise können Trainerteams die KI dann fragen, was passiert, wenn wir Spieler X für Spieler Y einwechseln.»

Jordan Raza, dpa

Von