Elfmeterheldin Ann-Katrin Berger kniete mit ausgebreiteten Armen auf dem Boden, Vizekapitänin Sjoeke Nüsken rannte völlig entfesselt auf die deutsche Kurve zu. Nach einem dramatischen Nervenspiel gegen Frankreich und einem 6:5 im Elfmeterschießen durften die in Unterzahl famos kämpfenden deutschen Fußballerinnen bei der EM über den Halbfinal-Einzug jubeln. Nach 120 Minuten hatte es 1:1 (1:1, 1:1) gestanden.
«Geisteskrank, wirklich», sagte Kapitänin Janina Minge im ZDF: «Wir haben fest an uns geglaubt.» Trainer Christian Wück schwärmte von einer «unglaublichen Leistung» und meinte: «Ich bin fix und fertig.»
Im Elfmeterschießen verwandelten auf deutscher Seite neben Berger auch Minge, Linda Dallmann, Rebecca Knaak, Klara Bühl und Nüsken. Berger parierte gegen Amel Majri und Alice Sombath vor 34.128 Zuschauern im ausverkauften Baseler St. Jakob-Park. Sara Däbritz vergab als einzige Deutsche.
Jetzt gegen Weltmeister Spanien
Fast über die komplette Spielzeit hatte sich das Team von Bundestrainer Christian Wück in Unterzahl durchkämpfen müssen. Nüsken (69.), die im Halbfinale gelbgesperrt fehlen wird, vergab zudem noch einen Elfmeter in der regulären Spielzeit. In der Runde der letzten Vier trifft der achtfache Titelgewinner am Mittwoch im nächsten Giganten-Duell auf Weltmeister Spanien in Zürich. «Man hat gesehen: Wir sind für Großes bereit, für Großes fähig», sagte Minge.
Der Krimi für die DFB-Elf begann früh mit Rot für Kathrin Hendrich, die ihrer Gegenspielerin im Strafraum am Zopf gezerrt hatte. Grace Geyoro (15. Minute) verwandelte den fälligen Elfmeter für das Team von Trainer Laurent Bonadei. Nüsken (25.) erzielte vor 34.128 Zuschauern im ausverkauften Baseler St. Jakob-Park das zwischenzeitliche 1:1.
Wück überrascht: Hoffmann statt Schüller
Die ersten Überraschungen gab es beim Blick auf die deutsche Aufstellung. Statt Bayern-Torjägerin Lea Schüller durfte Giovanna Hoffmann ran. Die 26 Jahre alte Leipzigerin war in den Gruppenspielen stets in der Schlussphase für Schüller (54 Länderspiel-Tore) eingewechselt worden. «Vorne brauchen wir Giovannas Körperlichkeit und ihre Präsenz als Mittelstürmerin», hatte Wück kurz vor Anpfiff in der ARD erklärt.
Im defensiven Mittelfeld sollte die bisher als Innenverteidigerin eingesetzte Janina Minge für mehr Sicherheit sorgen. «Es geht darum, dass wir stabil in unserem Spiel werden», erklärte Wück.
Hendrich zieht Frankreichs Kapitänin an den Haaren
Der Matchplan ging nur bis zur 13. Minute auf. Hendrich zog Frankreichs Kapitänin Griedge Mbock Bathy im Strafraum an den Haaren, kassierte Rot und ihr Team das 0:1 durch Geyoros mittig verwandelten Elfmeter. Torhüterin Ann-Katrin Berger war mit der linken Hand noch am Ball, aber nicht mehr entscheidend. Die Deutschen bildeten einen Kreis, berieten sich, wie es zu zehnt weitergehen sollte. Ergebnis: Minge rutschte wieder eine Position nach hinten.
Die personell ohnehin knapp besetzte Defensive – Giulia Gwinn verletzt, Carlotta Wamser rotgesperrt – dünnte sich nach 20 Minuten weiter aus: Sarai Linder musste angeschlagen vom Platz, Sophia Kleinherne übernahm rechts. Auf Links hatte Wück der 20 Jahre alten Franziska Kett zum EM-Debüt verholfen. Die Bayern-Verteidigerin spielte fehlerfrei.
In Unterzahl beackerte das DFB-Team die favorisierten Französinnen intensiv – und bewies zudem Effizienz. Eine scharf getretene Bühl-Ecke verwertete Nüsken per Kopf zum Ausgleich. Etwa 10.000 deutsche Fans rissen die Arme hoch. Es war die einzige DFB-Torchance in Hälfte eins, die immer rasanter und hitziger wurde. Wücks Spielerinnen zeigten nun jene Energie, die beim 1:4-Debakel gegen Schweden so schmerzlich vermisst worden war.
Auch nach der Pause hielt der Abwehrriegel – dank viel Kampf, Torhüterin Berger und etwas Glück. Als Geyoro nach zwei starken Berger-Paraden doch ins Tor traf, gab’s den Videobeweis: Abseits! Wück feierte die Entscheidung fast wie ein eigenes Tor.
Nüsken vergibt gegen Peyraud-Magnin
Kurz darauf wäre es beinahe so weit gewesen. Nüsken bot sich per Elfmeter die Top-Chance zum Doppelpack, scheiterte aber an Pauline Peyraud-Magnin im französischen Tor. Zuvor hatte Selma Bacha die stark aufspielende Jule Brand gefoult. Auch Bühl vergab aus guter Position das mögliche 2:1.
Die Deutschen wehrten sich bis tief in die Schlussphase hinein leidenschaftlich und erzwangen die Verlängerung. In dieser nahm Wück die extrem fleißige Hoffmann vom Platz – Schüller kam für ihr 79. Länderspiel. Und sie sah, wie Berger mit einer starken Flugparade einen Minge-Kopfball aufs eigene Tor gerade noch entschärfte. Melvin Malard drosch den Ball in der Nachspielzeit der Verlängerung an die Latte.