«Globales Phänomen» Frauenfußball: Was läuft, wo hakt es?
UEFA-Frauenfußball-Chefin Nadine Keßler erhofft sich einen weiteren Aufschwung durch die EM. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Peter Klaunzer/Keystone /dpa)

Ein weiterer Boom? Oder wenigstens ein Boost – ein Schub für den Frauenfußball? Drei Jahre nach der viel beachteten Europameisterschaft in England erhoffen sich alle Beteiligten genau das vom Turnier in der Schweiz. Die EM sei jedenfalls die beste Möglichkeit, diesen Sport auf ein neues Niveau zu heben, so DFB-Kapitänin Giulia Gwinn: «Das ist unsere Verantwortung, da wirklich Werbung zu machen.»

Der Siegeszug bis ins Finale von Wembley, das mit 1:2 gegen England verloren ging, und vor allem die Art und Weise des Auftretens von Alexandra Popp und Co. haben damals viel ausgelöst. Nicht nur beim Deutschen Fußball-Bund.

EM eine «Riesenmöglichkeit»

«Wir haben es 2022 erleben dürfen, wie schön es ist, wenn man es wirklich schafft, nachhaltig etwas bewegen zu können. Das ist damals nach Deutschland übergeschwappt. Das ist eine Riesenmöglichkeit, diese Plattform und Bühne jetzt wieder zu bespielen», sagt Bayern-Star Gwinn.

«Es gibt eine Menge Programme in ganz Europa, um die Entwicklung voranzutreiben», erklärt Nadine Keßler, Direktorin Frauenfußball bei der UEFA, zum EM-Auftakt. Die Ex-Wolfsburgerin spricht von einer «wachsenden weltweite Fangemeinde», in Mexiko und den USA zum Beispiel herrsche ein «fantastischer Hype um den Frauenfußball». Man sei international mittlerweile mit Förderprogrammen in 120 Ländern vertreten. 

«Eine Bewegung, kein Moment»

Ein Sport auf Expansionskurs, aber auch mit enormem Nachholbedarf. Eine «beispiellose Wachstumsphase» sieht Sportfive. Der international tätige Sportrechtevermarkter mit Sitz in Hamburg hat zur EM ein umfangreiches Papier zur Entwicklung des Frauenfußballs veröffentlicht. Untertitel: «A movement, not a moment» – «eine Bewegung, kein Moment».

Sportfive-CEO Stefan Felsing spricht von einem «globalen Phänomen», das Millionen Menschen weltweit begeistert: «Der rasante Aufstieg dieses Sports ist nicht nur ein Trend, sondern ein Beweis für seine dauerhafte Attraktivität und sein fortwährendes Potenzial.» Sponsoren hätten eine Marktlücke entdeckt, die niedrige Einstiegskosten und höhere Investitionsrenditen versprächen.

Dennoch rechnet die Europäische Fußball-Union für die EM mit einem satten Minus. Sie gehe von einem Nettoverlust von 20 bis 25 Millionen Euro aus, sagt Keßler. Das liege vor allem am üppigeren Preisgeld. In der Schweiz schüttet die UEFA an die 16 Nationalteams 41 Millionen aus – so viel wie nie zuvor bei einer Frauen-EM. 2022 hatte der Dachverband 16 Millionen verteilt.

Den deutschen Fußballerinnen winken bei einem Titeltriumph 120.000 Euro pro Kopf, auch das ist Rekord. Sportlich ist der lange erfolgsverwöhnte DFB in den vergangenen Jahren unter Druck geraten. Die starken Ligen in den USA und England – mit Mindestlöhnen übrigens – locken die Spielerinnen. Etats und TV-Gelder sind dort meist höher, die Bedingungen oft besser.

Schon vor der EM 2022 hatte der Verband das Strategiepapier «Frauen im Fußball – Fast Forward» («Schnell vorwärts») mit konkreten Zielen bis 2027 aufgelegt. So soll sich die Zahl von aktiven Spielerinnen, Trainerinnen und Schiedsrichterinnen um 25 Prozent erhöhen.

Fast 40 Prozent mehr Spielerinnen in drei Jahren

Im Vergleich zur Zeit kurz vor der EM 2022 spricht der DFB auf Nachfrage inzwischen von großen Fortschritten: 39,5 Prozent mehr aktive Spielerinnen, 73 Prozent mehr Schiedsrichterinnen. Bei den Trainerinnen-Lizenzen (Plus von 15,6 Prozent) müsse man noch aufholen. Das Ziel, die Sichtbarkeit zu verdoppeln, sei schon übertroffen, die TV-Reichweite um 143 Prozent gesteigert worden.

Zudem sollen die Nationalteams und die Vereine der Frauen-Bundesliga bis 2027 internationale Titel gewinnen. Das klappte bisher nicht. Das WM-Vorrunden-Aus 2023 in Australien war ein herber Rückschlag. Aber mit Olympia-Bronze im Rücken hofft das Team von Bundestrainer Christian Wück in der Schweiz auf einen weiteren Entwicklungsschub in allen Bereichen. 

Bundestrainer Wück mahnt

«Man darf nicht immer nur darüber reden, die Frauen-Bundesliga auf ein anderes Niveau zu heben. Man muss auch was dafür tun», sagt Wück. «Bei Union Berlin zeigen sie gerade als Aufsteiger, dass sie die neue Saison sehr ernst nehmen. Gute Infrastrukturen und interessante Transfers mit erfahrenen, aber auch jungen Spielerinnen beweisen dies.» 

Die Liga wurde zur neuen Saison von 12 auf 14 Clubs aufgestockt. Mit den Zuschauern ging es allerdings – trotz immer mehr Topspielen in großen Arenen – nicht deutlich voran. Die abgelaufene Saison lag mit einem Schnitt von 2.692 Fans pro Spiel knapp unter der Rekordrunde davor.

Dilemma des FC Bayern mit dem Stadion

Bei der EM in der Schweiz rechnen die UEFA und die Schweizer Organisatoren mit vollen Stadien und einer Rekord-Besucherzahl von über 600.000. Champions-League-Sieger Arsenal WFC sowie der französische Spitzenclub Olympique Lyon haben derweil angekündigt, in der kommenden Spielzeit alle Liga-Partien in der großen Arena ihres Vereins auszutragen.

Der deutsche Meister FC Bayern kämpft mit dem Dilemma, sich entweder in die riesige Allianz-Arena zu wagen – wie bei der Saisoneröffnung am 6. September gegen Bayer Leverkusen – oder am heimischen Campus zu bleiben. Der fasst nur 2.500 Besucher. «Da kann man nicht jedem gerecht werden», bedauerte Gwinn. «Wir sind jetzt viel in großen Stadien unterwegs, irgendwann soll das hoffentlich zur Normalität werden.»

Bisher ist die Frauen-Bundesliga jedenfalls ein Verlustgeschäft: Unter dem Strich stand 2023/2024 pro Club im Durchschnitt ein negatives Saisonergebnis von rund 1,9 Millionen Euro. Die neuen Zahlen liegen noch nicht vor. 

Equal Pay in weiter Ferne

Und noch sind längst sind nicht alle Spielerinnen Vollprofis. Equal Pay, also eine Bezahlung wie bei den Männern, bleibt in weiter Ferne. Im Schnitt verdient eine Fußballerin in der Bundesliga 4.000 Euro. Die Nationalspielerinnen sind allerdings schon länger bei fünfstelligen Monatsgehältern angekommen. 

Dass an der Basis noch viel zu tun ist, bekommt auch der Bundestrainer zu spüren. «Wir haben Toptalente, aber wir haben nicht die unendliche Menge an Toptalenten. Und da müssen wir wirklich aufpassen, dass wir die richtigen Schlüsse ziehen, dass wir die richtigen Maßnahmen ergreifen», sagt der 52-Jährige. «Wir haben jetzt erst die Leistungs- und Förderzentren für Mädchen eingeführt. Bei den Jungs passierte das 2002, und es hat zwölf Jahre gedauert bis wir dann Weltmeister wurden.»

Von Ulrike John und David Joram, dpa

Von