Der türkische Fußball erlebt eine der schwersten Krisen seiner Geschichte. Als Ibrahim Haciosmanoglu, Chef des nationalen Fußballverbands, Ende Oktober erklärte, dass Hunderte Unparteiische illegal Wetten platziert haben sollen, ließ sich bereits erahnen, dass die Erkenntnisse den Sport erschüttern werden. Doch die Ausmaße des Skandals weiten sich immer mehr aus. Spieler, Vereine und Schiedsrichter stehen unter Verdacht, auf Spiele gewettet und sich daran bereichert zu haben.
TFF-Chef Haciosmanoglu sprach zunächst davon, dass 371 der 571 in Profiligen tätigen Schiedsrichter Wettkonten besitzen würden. 152 von ihnen hätten aktiv Wetten platziert. Nun ist klar: 149 Schiedsrichter und mehr als 1000 Spieler sind bisher gesperrt worden. Gleich 18 Spieler des Drittligisten Diyarbekir Spor seien darunter, Spitzenwert unter den betroffenen Vereinen, wie der Sender «NTV» berichtete. Auch im Fußballverband selbst gab es etliche Rücktritte.
Unter Verdächtigen auch Spieler aus Süperlig
Verhaftet wurden bisher acht Menschen, darunter der Präsident von Eyüpspor, Murat Özkaya. Spiele der 2. und 3. Liga wurden für zwei Wochen ausgesetzt. Aus der türkischen Top-Liga Süperlig sind 27 Akteure betroffen, darunter Profis der Spitzenclubs Galatasaray und Besiktas Istanbul.
Galatasaray-Spieler Metehan Baltaci gab laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zu, vor einigen Jahren eine Wette platziert zu haben, «ohne das Ausmaß der Sache wirklich zu begreifen». Später sei er dann zu dem Schluss gekommen, «dass ein solches Verhalten nicht zu einer sportlichen Haltung passt, und habe es beendet». Die Wette habe aber nichts mit den Spielen der Mannschaften zu tun gehabt, für die er gespielt habe. Ersin Destanoglu von Besiktas stritt die Vorwürfe gegen sich laut Anadolu ab. Jemand habe mit seinen Daten ein Wettkonto eröffnet, nicht er selbst.
Alle Clubs des Landes im Fokus der Ermittlungen
Dass auch Vereinspräsidenten, Manager und Trainer unter den Verdächtigen sind, verdeutlicht das Ausmaß des Skandals. Alle Clubs in der Türkei stehen nun im Fokus der Ermittlungen, die die Zukunft des nationalen Fußballs belasten.
In der Süperlig stehen auch einige deutsche Profis unter Vertrag, darunter der namhafte Ex-Nationalmannschaftskapitän Ilkay Gündogan und der frühere Bayern-Akteur Leroy Sané – beide spielen erst seit dieser Saison für Galatasaray Istanbul. Vor der Saison zog es auch den Hamburger Aufstiegshelden Davie Selke vom HSV zum Istanbuler Club Basaksehir FK.
TFF fordert Informationen von Interpol an
Eine Untersuchung der Finanzaufsicht Masak hat laut «Hürriyet» bei mehreren türkischen Schiedsrichtern hohe Geldflüsse im Zusammenhang mit illegalen Wetten aufgedeckt. Zwei Referees sollen zwischen 2021 und 2025 Finanztransaktionen in Höhe von 35 und 50 Millionen türkische Lira, also bis zu einer Million Euro, getätigt haben. Beide wurden vom Disziplinarausschuss gesperrt, sitzen nun in Untersuchungshaft. Gewettet wurde auf alles, «sogar auf die Farbe der Schiedsrichtertrikots», berichtete der Sender «Halk TV».
Der türkische Fußballverband hat über Interpol Informationen von fünf ausländischen Wettanbietern etwa in Albanien, Bulgarien und Nordzypern angefordert, um die Ermittlungen voranzutreiben, berichtete der Sender «Ahaber». Für die Transfers in der Wintersaison wurde vor dem Hintergrund der FIFA-Ermittlungen um eine zusätzliche 15-tägige Transfer- und Registrierungsphase gebeten, teilte der TFF mit.
Untersuchung im April begonnen
So erschütternd der Skandal auch ist, nicht alle überrascht er. Der türkische Journalist Murat Agirel kritisierte, die Unregelmäßigkeiten seien lange bekannt gewesen, aber niemand sei eingeschritten: «Heute kommt alles nach und nach ans Licht. Es ist nicht mehr zu leugnen, wie wahr das ist, worüber ich seit Jahren spreche», schrieb er bei «Cumhuriyet».
Laut TFF-Chef Haciosmanoglu wurden bereits im April «umfassende Untersuchungen» nach einem Spiel der Clubs Ankaraspor und Nazilli Belediyespor eingeleitet. Spieler, Mitarbeiter und Funktionäre beider Seiten hätten auf dieses Spiel gewettet, schreibt der Staatssender TRT.
Die UEFA gab bekannt, dass sie bezüglich der Ermittlungen zu Fußballwetten mit dem türkischen Fußballverband in Kontakt steht, wie die Nachrichtenagentur Anka aus einer Stellungnahme zitierte.
Welche Folgen der Skandal langfristig für den Volkssport Nummer 1 in der Türkei hat, bleibt noch abzuwarten. TFF-Chef Haciosmanoglu bleibt optimistisch: «Wir werden bis zum Ende gegen diejenigen kämpfen, die dieses schöne Spiel auf eine Weise beschmutzen, die dem Geist und den Werten des Sports widerspricht.» Auf jeden Abend folge ein Morgen, an dem die Sonne wieder aufgehe.

