Dieser Pokalkrimi verlangte dem VfB Stuttgart wirklich alles ab. Mitten in der Verlängerung lief Trainer Sebastian Hoeneß auf einmal vom Spielfeldrand in den Kabinentrakt. Er musste aufs Klo. In einem Spiel mit acht Toren, 20 Elfmetern und zahlreichen Wendungen «wusste ich, dass ich das bis zum Schlusspfiff nicht mehr schaffe», sagte der 43-Jährige hinterher.
So etwas kriegt man in einer ersten Pokalrunde nur selten zu sehen und es ging am Ende noch einmal gut: Das galt für Hoeneß‘ kleines Problem genauso wie für den gesamten Stuttgarter Pokalabend beim Zweitligisten Eintracht Braunschweig.
3:3 nach 90 Minuten, 4:4 nach Verlängerung, 8:7 im Elfmeterschießen: «Das Spiel wird mich noch ein bisschen beschäftigen», sagte VfB-Torwart Alexander Nübel dazu. «Sehr wilder Abend, sehr langer Abend, viele gemischte Gefühle.»
Nübel kämpft sich ins Spiel
Der 28-jährige Nationalkeeper war nach diesem Erfolg besonders erleichtert. Denn Nübel war an nur einem Abend alles auf einmal: Sorgenkind, Unsicherheitsfaktor, Pokalheld und offizieller Spieler des Spiels. Zum Glück für ihn und sein Team in genau dieser Reihenfolge.
Während der regulären Spielzeit patzte er zunächst beim frühen 0:1 durch einen 30-Meter-Schuss von Sven Köhler (8.) und machte auch beim 2:2 durch Fabio Di Michele Sanchez (77.) die Torwartecke nicht zu. Dafür hielt er später beim Elfmeterschießen gleich drei von zehn Braunschweiger Versuchen. «Alex hat sich in dieses Spiel hinein gefightet. Das spricht hundertprozentig für ihn», sagte sein Trainer hinterher. Es sei wichtig für seine Nummer eins gewesen, «am Ende einer unserer Gewinner zu sein».
Hintergrund dieser Aussage ist, dass Nübel am Beginn einer für ihn besonders wichtigen Saison steht. Und das gilt sowohl kurz- wie auch langfristig.
Ellenbogen-Verletzung im Sommer
Kurzfristig muss er erst einmal wieder richtig fit werden. Denn der VfB-Keeper – und das erklärt auch seine Unsicherheiten am Dienstagabend – verpasste große Teile der Saisonvorbereitung wegen einer Ellenbogen-Verletzung.
Nübel verpasste bereits das Supercup-Finale gegen Bayern München (1:2) und nahm auch beim missglückten Bundesliga-Start gegen Union Berlin (1:2) ein Gegentor auf seine Kappe. Die Hoffnung nach dem Sieg in Braunschweig ist nun, «dass er da Selbstvertrauen herausnimmt und vor allem die Spielpraxis nutzt, um Sicherheit zu gewinnen», wie Hoeneß sagte.
Und dann ist da bei Nübel wie bei jedem anderen Nationalspieler und Nationalmannschafts-Kandidaten auch das große Ziel WM 2026. Bei den deutschen Torhütern ist die Saison besonders pikant: Manuel Neuer (Bayern München) ist zurückgetreten, Marc-André ter Stegen (FC Barcelona) verletzt. Bernd Leno (FC Fulham) und Kevin Trapp (Paris FC) haben beim Bundestrainer einen schweren Stand, was Kandidaten wie Nübel oder Oliver Baumann (1899 Hoffenheim) eine Chance offenlässt, die über Jahre nie abzusehen war.
Genau das stellt einen Torwart wie Nübel aber auch in jedem Spiel der nächsten Monate unter besondere Beobachtung. Und viele Unterstützer hatte er in der Öffentlichkeit noch nie.
Matthäus über Nübel: «Eher für die zweite Reihe»
Der deutsche Rekordnationalspieler Lothar Matthäus zum Beispiel schrieb an diesem Mittwoch in der «Sport Bild»: «Mit Nübel und Baumann haben wir zwei starke Torhüter, aber eher für die zweite Reihe.» Matthäus regte sogar an, den 39 Jahre alten Neuer noch einmal für die WM zu reaktivieren. Dann würde es für Nübel in der Nationalmannschaft genauso laufen wie einst beim FC Bayern: An dem Torwart-Denkmal Neuer käme er nie vorbei.
Vorerst versucht der Stuttgarter Torwart aber, das alles auszublenden und sich nur auf den VfB zu konzentrieren. «Bei mir ist das noch sehr weit weg», sagte Nübel in Braunschweig über die WM. «Ich will wieder ordentliche und gute Spiele zeigen. Wieder der Mannschaft helfen, wieder in meinen Flow kommen. Am Freitag ist die Auslosung in der Europa League. Darauf freue ich mich. Das zählt erstmal!»