Leverkusens Edmond Tapsoba (l) und Stuttgarts Tiago Tomas kämpfen um den Ball. (Urheber/Quelle/Verbreiter: David Inderlied/dpa)

Am Ende tauschten Florian Wirtz und Tiago Tomas das Trikot. Wer von den beiden Jungstars auf den anderen zuging, ist nicht verbrieft. Dennoch agierten sie zumindest an diesem Tag auf Augenhöhe.

Und während der erst 18 Jahre alte Leverkusener Wirtz schon A-Fußballnationalspieler und ein echter Star ist, ist der elf Monate ältere Portugiese seit Samstag auch den meisten Bundesliga-Fans ein Begriff. Und für den VfB Stuttgart stieg er in nur 90 Minuten zum Hoffnungsträger für den Kampf gegen den dritten Bundesligaabstieg seit 2016 auf.

«Wir haben heute einen Spieler gewonnen», sagte Trainer Pellegrino Matarazzo, der mit seinem Team derzeit sonst nichts gewinnt. Nach dem 2:4 bei Bayer Leverkusen steht nur ein Punkt aus den letzten sieben Spielen in der Statistik. Umso wichtiger, dass plötzlich und unerwartet Tiago Barreiros de Melo Tomas auf der Bildfläche auftauchte.

Tomas übertrumpft Wirtz

Die Winter-Leihgabe von Sporting Lissabon war nach zuvor neun Bundesliga-Minuten nur in die Startelf gerückt, weil Sasa Kalajdzic wegen Wadenproblemen und Omar Marmoush nach einem positiven Corona-Test fehlten. Am Ende hatte der Portugiese (49./88.) beide Stuttgarter Treffer erzielt – womit er sogar Wirtz (ein Tor, eine Vorlage) übertraf – und zudem noch mit einem Lattentreffer (28.) für Aufsehen gesorgt. «Er hat Speed und Tiefgang, kann seinen Körper gut einsetzen, kann eklig sein beim Ball festmachen. Und die zwei Tore werden ihm eine breite Brust geben», sagte Matarazzo.

In diesem Moment durfte er nachvollziehbar schwärmen. In vielen anderen betete er mit monotoner Stimme seine wöchentlichen Durchhalteparolen herunter. Nein, die Nerven verlieren sie wahrlich nicht im Schwabenland. Und die große Frage ist: Ist diese Ruhe das entscheidende Faustpfand im Kampf gegen den Abstieg? Oder ist die Harmonie Stuttgarts größer Fehler? Steigt der VfB mit Schönfärberei und sich in den Armen liegend ab?

«Man darf nicht alles schönreden», mahnte Rekordnationalspieler Lothar Matthäus als Sky-Experte: «Es gibt eigentlich gar keinen Ärger. Aber man muss auch mal den Finger in die Wunde legen. Sie machen sehr viele Fehler.»

In der Tat klang es nach dem Spiel mit vier Gegentoren und 29 Prozent Ballbesitz eher so, als habe der VfB gerade einen Befreiungsschlag gelandet. Der Trainer wollte «viel Positives mitnehmen» und sah «eine Einheit, die uns tragen wird in den nächsten Wochen.» Nicht einmal das Kopfballtor des 1,74 Meter kleinen Amine Adli – wieder nach einem Standard – war für ihn ein Kritikpunkt: «Das war überragend geschossen und überragend geköpft. Einfach gut gemacht vom Gegner.»

Matarazzo darf weitermachen

Nun ist Matarazzo sicher nicht naiv. Die Ruhe ist seine Masche. Der Weg, an den er glaubt. Intern agiere er auch nicht wirklich anders, versicherte der «Rino» genannte Coach. «Wir haben vor dem Spiel und in der Halbzeit weniger Wert auf das Geschrei gelegt», sagte er: «Das Geschrei soll auf dem Platz stattfinden.»

Die Verantwortlichen glauben trotz vier Punkten Rückstand auf den Relegationsplatz bei nur noch zwölf Spielen an den Trainer und an seinen Weg. «Sein Matchplan ist sehr lange aufgegangen. Er erreicht die Mannschaft, deshalb gibt es da nix zu diskutieren», sagte Sportchef Sven Mislintat im ZDF. Und rechnet auch nicht mit einem Rücktritt des 44-Jährigen. «Ich arbeite täglich mit ihm, sitze mit ihm im Bus und in der Kabine, esse mit ihm zu Mittag. Aber da sehe ich keine Anzeichen», sagte er: «Er ist immer voller Energie. 24/7.»

«Rinos Ruhe» und Tiago Tomas‘ Tore sollen es also richten. Bleibt abzuwarten, ob das reicht.

Von Holger Schmidt, dpa

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