Herthas Peter Pekarik (r) diskutiert nach der Derby-Pleite mit Fans in der Ostkurve. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Sören Stache/dpa)

Die blau-weißen Trikots zwischen leeren Bierbechern im Dreck und erste Risse am Retter-Denkmal von Felix Magath: Hertha BSC gibt im Abstiegskampf der Fußball-Bundesliga ein jämmerliches Bild ab und muss sich jetzt auch noch der großen Fan-Wut stellen.

Auch am Tag nach der dritten Derby-Schmach in 140 Tagen beim 1:4 gegen den von Magath zur Übermacht erklärten 1. FC Union hing die entscheidende Frage schwer wie Blei über dem traurigen Teil von Fußball-Berlin. Wie soll die Hertha in dieser Verfassung den siebten Bundesliga-Abstieg der Vereinsgeschichte noch abwenden?

Magath hatte großen Redebedarf und bat seine von den eigenen Fans durch die Trikot-Abgabe-Aktion gedemütigten Spieler am Tag nach dem Spiel zu einer extra langen Morgenanalyse in das rote Backsteingebäude auf dem Olympia-Gelände. Erst gut zweieinhalb Stunden nach dem eigentlich für 10.00 Uhr angesetzten Training betraten die Spieler den Übungsplatz. Davor patrouillierten zur Sicherheit mehrere Polizeiwagen. Schon vor der Ansprache an die eigenen Spieler hatte der nach nur drei Wochen schon beschädigte Wunder-Coach beim TV-Sender Bild eingestanden, dass er selbst mächtig ins Grübeln gekommen ist.

Magath-Aufstellung zu ängstlich

«Wie kriege ich die Spieler dazu, dass sie auf dem Platz zusammenarbeiten, zusammen sich wehren, zusammen kämpfen?», formulierte Magath die für ihn selbst entscheidende Frage. Fakt war, auch der Hertha-Coach hatte im Derby Fehler gemacht. Die Aufstellung war zu ängstlich, zu defensiv. Der 18 Jahre alte Julian Etschberger war bei seinem Bundesliga-Debüt hinter dem nicht für gutes Zweikampfverhalten bekannten Myziana Maolida allein gelassen.

Magath wollte taktische Struktur bewahren und verzockte sich mit dem Personal. Union, das lustwandlerisch das nächste Europacup-Abenteuer anpeilt, bestrafte Passivität und Verunsicherung durch die Tore von Genki Haraguchi (31. Minute), Grischa Prömel (53.), Sheraldo Becker (74.) und Sven Michel (85.) gnadenlos. Die Berliner Fußball-Welt leuchtet rot. Timo Baumgartls (48.) Eigentor fiel nicht ins Gewicht.

Hartes Urteil der Ultras

Die erstmals seit der Pandemie ins Olympiastadion zurückgekehrten Ultras hatten ihr hartes Urteil mit einer bislang einmaligen Aktion schnell gesprochen. Her mit den Trikots und zwar nicht als Souvenir, sondern als eine Art Textil-Skalp, hieß es in der Ostkurve nach dem Abpfiff. Maximilian Mittelstädt und seine Kollegen folgten der Fan-Order so widerstandslos, wie sie sich zuvor dem Unioner Fußballwirbel hatten ergeben müssen. Er habe «eine Konfrontation vermeiden wollen», meinte der gebürtige Berliner Mittelstädt.

Geschäftsführer Fredi Bobic, der in der Krise immer schmallippiger wird, stießen die Bilder auch am Sonntag noch bitter auf. «Die Jungs aufzufordern, das Trikot abzugeben und sie sind es nicht wert, dieses Trikot zu tragen: Da wird eine Linie überschritten, die aus meiner Sicht nicht okay ist», sagte der aus Berlin zugeschaltete Bobic am Sonntag im «Doppelpass» von Sport1.

«Wir brauchen auch die Fans»

«Normalerweise müssen wir alle zusammenhalten. Wir brauchen auch die Fans», sagte Mittelstädt. Auch Magath und Bobic betonten nochmals, dass im auf allen Ebenen zerstrittenen oder Stabilität suchenden Verein endlich Ruhe einkehren müsse. Besonders vor den nächsten drei Spielen, wenn es gegen die direkt vor der Hertha auf den Plätzen 14 bis 16 platzierten Teams des FC Augsburg, VfB Stuttgart und von Arminia Bielefeld geht.

«Wir haben noch alle Vereine, die in Reichweite sind, als Gegner. Wir haben es selbst in der Hand, uns von dem Tabellenplatz zu lösen und einen der rettenden Plätze zu erreichen», sagte Magath. Der – Fehler Nummer zwei – mit der Einschätzung überraschte, dass sein Kader die Situation im Abstiegskampf nicht kenne, dabei sah es vor genau einem Jahr bei der Hertha mit ähnlichem Personal schon genauso düster aus. Die spielerisch befähigten und bei Schalke und Augsburg auch im Tabellenkeller schon erprobten Suat Serdar und Marco Richter ignoriert Magath zudem weitgehend.

Was der als Retter engagierte 68-Jährige dann als Fazit über seine eigene Mannschaft erzählte, war bestimmt nicht geeignet, die aufgebrachten Fans zu besänftigen und womöglich Magahts dritter Fehler am missratenen Derby-Wochenende. Die Eisernen sind so gut, dass die Hertha derzeit einfach keine Chance haben kann, sagte Magath. Kapitulation vor dem Lokalrivalen – und das mitten im mühsamen Ringen um den Erstliga-Verbleib. Mit so viel bitterem Realismus wird wohl eher keine Aufbruchstimmung erzeugt. «Gegen einen schwächeren Gegner hätten wir besser ausgesehen», meinte Magath.

Von Arne Richter und David Langenbein, dpa

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