Rudi Völler mit Kindern aus dem Waisenhaus «Casa de Cuna» in Queretaro. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Holger Schmidt/dpa)

Es ist 6.58 Uhr am Morgen. Die gigantische Metropole Mexiko-Stadt erwacht erst langsam. Rudi Völler steht mit einem Kaffee in der Hand und wachen Augen schon vor dem «St. Regis»-Hotel und ist freudig gespannt.

Um fit zu sein für den «wichtigsten Termin» der Mexiko-Reise von Bayer Leverkusen hat der scheidende Geschäftsführer die Veranstaltung am Abend zuvor extra etwas früher verlassen.

Nun liegt eine dreistündige Fahrt nach Queretaro vor ihm. In jenes Waisenhaus, das er als Nationalspieler 1986 bei der Fußball-WM erstmals besichtigte. Und in das er seitdem mehrmals zurückkehrte. «Grundsätzlich ist es immer noch traurig, das dort zu sehen», sagt er der Deutschen Presse-Agentur: «Aber jedes Mal, wenn ich hinkomme, hat sich vieles verbessert.»

Botschafter der Egidius-Braun-Stiftung

Der damalige DFB-Schatzmeister und spätere Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Egidius Braun, hatte das Waisenhaus vor 36 Jahren besucht und war von dem dortigen Elend ergriffen. Gemeinsam mit den Nationalspielern Völler und Toni Schumacher sowie Teamchef Franz Beckenbauer kehrte er zurück. Und gründete schließlich die «Mexiko-Hilfe», die heute «Egidius-Braun-Stiftung» heißt. Völler ist ihr prominentester Botschafter. 1986 gab er, tief bewegt von dem, was er dort sah, spontan 5000 Mark. Er war damit der erste Spender überhaupt.

«Es war damals alles sehr heruntergekommen», erzählt Völler auf dem Weg nach Queretaro. «Es fehlte an allem. Es war erbärmlich und schockierend.» Seit etwa zehn Jahren war der Weltmeister von 1990 nun nicht im «Casa de Cuna», einen solch langen Abstand zwischen zwei Besuchen hatte es in den 36 Jahren noch nicht gegeben. Deshalb ist er umso angespannter. «Rudi hat mir auf der Fahrt viel erzählt», sagt Simon Rolfes, Völlers Nachfolger als Bayer-Geschäftsführer und ebenfalls Kuratoriums-Mitglied der Egidius-Braun-Stiftung, der seinen Ex-Chef begleitet: «Nun bin ich sehr gespannt darauf, mir ein eigenes Bild zu machen.»

An der Tür wird Völler direkt von Georg-Christoph Bauer empfangen. Der 86 Jahre alte Generalkonsul war schon bei dessen erstem Besuch dabei. Er führt Völler und Rolfes in den bunt geschmückten Hof. 36 Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren warten schon. Mit bunten Masken und Deutschland- und Mexiko-Fahnen sitzen sie brav auf ihren Stühlen. «Alemania» singen sie. Und «Hoch lebe Rudi» auf Spanisch. Der 62-Jährige wirkt tief beeindruckt und genießt den Augenblick still.

Von den Erzieherinnen haben einige früher selbst in diesem Haus gelebt, erzählt Völler. «Sie wollen das, was ihnen Gutes widerfahren ist, weitergeben.» Das gespendete Geld wurde gut investiert. Wo die Kinder 1986 laut Schumacher «in Apfelsinenkisten geschlafen haben», gibt es heute anständige Betten in den Schlafsälen. Die der Jungs sind grün bezogen, die der Mädchen pink. Auf jedem Bett liegt ein Kuscheltier. Es gibt anständige Sanitär-Anlagen für Jungen und Mädchen und eine Spiel- und Turnhalle. Im Hof stehen Spielhäuser, Klettergerüste und eine Rutsche. Der Besuch aus Deutschland wird mit Hot Dogs und Brezeln empfangen. Die Kinder sind zunächst zurückhaltend, dann greifen alle tüchtig zu.

Scheck über 10.000 Euro

Kurz darauf muss Völler eine Pressekonferenz abhalten. Auch José Antonio Nunes Vera, der Chef und Kinderarzt des Waisenhauses, soll etwas erzählen. Doch er kommt nicht weit. Die Stimme des 77-Jährigen bricht, dann kullern Tränen über seine Wangen. «Der DFB und Menschen wie Herr Völler haben so vielen Kindern geholfen. Und tun es immer noch», schluchzt er. «Wir müssen uns bei Gott bedanken, dass uns so viel Gutes beschert wurde.» Völler übergibt einen Scheck über 10.000 Euro und einen Tischkicker, den er sofort mit den Kindern ausprobieren will. Doch leider sind keine Bälle da.

Rolfes stellt er quasi auch hier als seinen Nachfolger vor. «Damit ist gesichert, dass unser Club hier weiter Gutes tun kann.» Rolfes nimmt das Mandat an. «Der Empfang dieser süßen Kinder war sehr herzlich», sagt er: «Ich will gerne das weiter unterstützen, was Rudi aufgebaut hat.» Er selbst werde aber «selbstverständlich» auch weiter hierherkommen, versichert der fünffache Vater Völler.

Leverkusen-Maskottchen für die Kinder

Anschließend setzen sich die beiden Ex-Nationalspieler inmitten der Kinder. Sie verteilen das Vereins-Maskottchen «Brian the Lion», einen kleinen gelben Löwen. Völler fragt den kleinen Juan Pablo, ob er sich auf seinen Schoß setzen will. Der Junge mit der blauen Brille springt sofort auf. Völler stellt ihm Fragen, doch der Vierjährige ist zu aufgeregt, um ein Wort rauszukriegen. Er nickt nur eifrig.

Kurz darauf spricht ein junger Mann Völler an und zeigt ihm ein Foto. Es zeigt ihn als kleinen Jungen und einen noch deutlich weniger ergrauten Völler bei einem früheren Besuch. «Eine wunderbare Geschichte», sagt Völler: «Er hat als Junge hier gelebt, heute ist er über 20 und hat sich wunderbar entwickelt.»

Nach rund zwei Stunden bricht die Bayer-Delegation wieder nach Mexiko-Stadt auf. Und Völler tritt die Rückreise mit einem guten Gefühl an. «Ich bin begeistert, wie sich dieses Haus entwickelt hat», sagt er: «Hier sind viele wunderbare Dinge passiert in den vergangenen 36 Jahren.» Und dann erinnert er wieder an Egidius Braun. «Er war immer die Triebfeder des Ganzen», sagt Völler über den im März im Alter von 97 Jahren gestorbenen Vater der Stiftung, an den eine Ehrentafel im Heim erinnert: «Er wäre sicher stolz, wenn das hier heute sehen könnte.»

Von Holger Schmidt, dpa

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