Serge Gnabry spricht bei der Pressekonferenz im DFB-Medienzentrum. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Federico Gambarini/dpa)

Der Shirt von Hansi Flick flatterte im Wüstenwind. Der Bundestrainer schaute bei der Trainingsgruppe um seine Rückkehrer Niklas Füllkrug, Thomas Müller und Antonio Rüdiger in der deutschen Trainingstrutzburg in Al-Shamal ganz genau hin.

Im von Oliver Bierhoff zum «Fort Knox» erkorenen Übungsareal mit den dicken Backsteinmauern und den vier markanten roten Türmen wurde weiter geschuftet. Flick war unter dem Flutlicht fokussiert. Der Bundestrainer hat in den Titel-Modus geschaltet. Die Turbo-Vorbereitung der Fußball-Nationalmannschaft auf den WM-Start gegen Japan läuft – und die Signale sind positiv.

Sturmhoffnung Füllkrug kehrte nach nur einem Tag Pause wegen seines grippalen Infekts gleich wieder ins Teamtraining zurück. Müller und Rüdiger haben nach wochenlanger Pause ihre Muskelblessuren wohl rechtzeitig auskuriert und die erste große Belastung überstanden. Das ist wichtig, denn die Zeit rennt.

Gnabry: «Wir alle sind einen Ticken angespannt»

Die nur 100 Stunden zwischen erstem Teamtraining in Katar am Samstag und dem Anpfiff am Mittwoch (14.00 Uhr/ARD und MagentaTV) im Chalifa International Stadium von Doha zerrinnen förmlich wie Wüstensand zwischen den Händen.

«Wir alle sind einen Ticken angespannt. Wir können es kaum erwarten, dass die WM losgeht», sagte Bayern-Angreifer Serge Gnabry. Manuel Neuer hat die ungewöhnliche Situation vor seiner vierten WM-Endrunde erkannt. «Es ist natürlich etwas Besonderes, es sind andere Umstände, weil die Vorbereitung sehr kurz ist», sagte der DFB-Kapitän und mahnte darum volle Konzentration an.

Neuers Ansage ist eindeutig. Jetzt darf nur noch Fußball gespürt, gelebt und gedacht werden. So kann der Zeit-Nachteil, der für alle Turnierfavoriten gleichermaßen gilt, aber für die deutschen Turniertugenden besonders abträglich ist, kompensiert werden. «Wichtig wird sein, dass wir viel miteinander reden. Gerade die Zeit, die wir jetzt nicht haben, um Sondertrainingseinheiten zu absolvieren, müssen wir zum Beispiel beim Essen miteinander über Fußball sprechen», forderte Neuer (36), der in Katar zum WM-Rekordtorwart werden will.

Bierhoff mahnt

Auch Bierhoff mahnte einen konzentrierten Countdown auf das komplizierte Auftaktspiel gegen Asiens Rekordchampion an. Alle wissen: Schon durch ein Remis gegen die schnellen und unbequemen Japaner würde der Druck für das vier Tage später folgende Gruppentopspiel gegen Spanien enorm anwachsen. «Für uns könnte es ein Nachteil sein, dass wir nicht zwei, drei Wochen Vorbereitung haben», sinnierte Bierhoff. «Die deutsche Mannschaft hat immer von der Gruppe gelebt und nicht von dem Individuum. Das ist für uns jetzt auch wichtig, trotz der Qualität der einzelnen Spieler, die wir haben.»

Die deutsche Mannschaft ist für Bierhoff «nicht der Turnierfavorit», aber ein Kandidat für den Titelgewinn. Themen abseits des Sports, wie die Debatte um die weiterhin von der FIFA verbotene One-Love-Kapitänsbinde von Neuer oder das Bierverbot der katarischen Gastgeber für Fans in den Stadien, dürfen nicht ablenken.

Am Sonntagabend stand noch ein gesellschaftspolitischer Termin an. Im Stadion des Al-Shamal Sports Club sollte mit 20 Mädchen aus der Region gekickt werden. Beim Training durften sie schon zuschauen. Die FIFA organisiert so eine Good-Will-Aktion für alle 32 WM-Teams.

Den Fokus verschieben darf das nicht. «Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass das ein harter Kampf sein wird. Es wird keine Zauberei sein», lautete Bierhoffs WM-Prophezeiung. «Wir sind gewarnt, von der ersten Minute an voll fokussiert zu sein. Dann ist mit der Mannschaft alles möglich», sagte er. Das Debakel in Russland vor vier Jahren mit dem historischen Vorrundenaus sitzt noch in den Hinterköpfen.

Neuer: Bei Auftaktsieg «in einen Flow» kommen

Auch Gnabry machte nochmals klar, wie wichtig ein guter Start ist und erinnerte an die Sieben-Titel-Serie mit Flick vor nicht langer Zeit beim FC Bayern. «Das Ganze kommt durch die Erfolgserlebnisse, durch die guten Spiele, durch die Siege, wo dann dieser Spirit und der Erfolgshunger wachsen kann», sagte der Münchner Angreifer. Bei einem Auftaktsieg könne man «in einen Flow» kommen, wie beim 4:0 gegen Portugal vor dem Titelgewinn 2014 in Brasilien, sagte Neuer. Das Gegenbeispiel sei das 0:1 gegen Mexiko vor vier Jahren in Russland gewesen.

Gnabry erlebt seinen Münchner Teamkollegen Müller, der wie Neuer seine vierte WM spielen will, schon in Turnierverfassung. «Er ist voller Ehrgeiz, voller Anspannung und Vorfreude. Bei ihm merkt man das einen Ticken mehr, weil er dann noch mehr redet. Er freut sich, er hat in den letzten Wochen alles getan und sehr hart gearbeitet, um wieder in Topform zu kommen.»

Ist Müller fit, könnte er die nach dem Ausfall von Leipzigs Timo Werner vakante Stelle im Sturmzentrum ausfüllen. Füllkrug fällt in Katar vermutlich eher die Joker-Rolle zu. Gnabry spielt lieber dahinter, zentral oder über den Flügel, wie er am Sonntag betonte.

Bierhoff sieht für Flick alle Möglichkeiten bei der Aufstellung im Chalifa International Stadium. «Es wäre schlimm, wenn Hansi keine Optionen hätte, das würde mir eher Kopfzerbrechen bereiten», sagte Bierhoff. Den Kern der Startelf habe der Bundestrainer schon im Kopf.

Arne Richter und Klaus Bergmann, dpa

Von