Argentinien bezwang die Niederlande im Elfmeterschießen und steht im Halbfinale. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Ariel Schalit/AP/dpa)

Lionel Messi rannte zum Elfmeterhelden, drückte Emiliano «Dibu» Martínez und auf den himmelblau-weißen Rängen des Finalstadions der Fußball-Weltmeisterschaft herrschte schon pure Titelstimmung.

Ex-Bundesliga-Torjäger Wout Weghorst vergoss auf dem Rasen indes bittere Tränen. In einem weiteren irren Elfmeter-Krimi hat sich Argentinien angeführt von Vorbereiter und Torschütze Messi ins Halbfinale gezittert. 

«Wir haben am Ende sehr gelitten. Am Anfang lief es noch gut. Aber wir haben es doch geschafft. Wir sind eine Mannschaft, die weiß, was sie tut. Wir haben Lust zu gewinnen. Wir haben unglaubliche Lust, diese Meisterschaft zu gewinnen», sagte Messi. Minutenlang feierten sie mit den Fans. Den Rasen, auf dem am 18. Dezember das Endspiel angepfiffen wird, wollte erstmal keiner der Argentinier verlassen. «Das waren pure Emotionen», sagte Keeper Martínez: «Wir haben das für 45 Millionen Argentinier gemacht, für das ganze Land.»

Die Südamerikaner gewannen am Freitagabend dank Martínez, der zweimal glänzend parierte, in der Runde der besten Acht mit 4:3 im Elfmeterschießen gegen die Niederlande. Nach 120 verrückten Minuten hatte es in einem höchst aufgeladenen und hitzigen Match mit Rudelbildung und 15 Gelben Karten – WM-Rekord – 2:2 (2:2, 1:0) gestanden. Dabei hatte der ehemalige Wolfsburger Weghorst mit einem Doppelpack den zweimaligen Weltmeister gehörig bangen lassen.

Im Elfmeterschießen ereilte Oranje der K.o. – wie 2014 im WM-Halbfinale gegen Argentinien. Schon damals blieb Trainer-Routinier Louis van Gaal die Krönung versagt. Mit 71 Jahren klappte es nun wieder nicht, nachdem Martinez die Versuche von Liverpool-Star Virgil van Dijk und Steven Berghuis parierte. Für die Entscheidung sorgte Inter Mailands Stürmer Lautaro Martínez. Danach gab es kein Halten mehr.  «Es war eine unglaubliche Atmosphäre. Die Argentinier haben das Stadion am anderen Ende der Welt gefüllt», sagte er. 

Vor 88.235 Zuschauern sahen Messi & Co. bis kurz vor Schluss der regulären Spielzeit gegen schwache Holländer wie die sicheren Sieger aus. Die Führung bereitete Messi mit einem Geniestreich in seinem 1001. Profispiel vor, als er Nahuel Molina (35. Minute) den Ball blind vorlegte. Den zweiten Treffer erzielte er per Foulelfmeter gleich selbst (73.). Doch sorgte Weghorst in der 83. Minute und der elften Minute der Nachspielzeit für die Verlängerung. Dort passierte nichts mehr. Es ging in das Elfmeterschießen, wo Argentinien das bessere Ende für sich hatte.

Wenige Stunden nach dem Elfmeter-K.o. von Brasilien mit Messis PSG-Vereinskollege und Kumpel Neymar unterstrich die Mannschaft von Trainer Lionel Scaloni gegen die bis dahin unter van Gaal in 19 Partien ungeschlagenen Niederländer ihre Ambitionen auf den WM-Titel. Am Dienstag (20.00 Uhr) geht es gegen Brasilien-Bezwinger Kroatien um den Einzug ins Finale. «Es wird sehr schwer. Brasilien zu schlagen, das kann nicht jeder. Das wird ein harter Gegner», betonte Messi.

Nur 15 Kilometer entfernt vom WM-Untergang des großen Erzrivalen, der den Traum der Fußball-Fans weltweit vom Superclásico im Halbfinale von Katar schon vorher zunichte machte, demonstrierten die Argentinier Einheit und Entschlossenheit. Die Augen kurz geschlossen, sang Messi vor dem Anpfiff inbrünstig die Hymne, die wieder Zehntausenden in argentinischen Trikots auf den Tribünen stimmten mit ein. 

Strategie von van Gaal

Wie van Gaal Messi stoppen wollte, hatte der erfahrene Trainer natürlich nicht verraten. Von ihrer mehr auf Effektivität denn Attraktivität angelegten Spielweise wichen die Holländer um ihren Kapitän Virgil van Dijk vom FC Liverpool jedenfalls nicht ab und überließen den Südamerikanern das Geschehen. Bei denen fehlte in der Startformation wieder der so wichtige Flügelmann Ángel di María, wie schon im Achtelfinale gegen die Australier.

Aber auch wenn die Niederländer wie alle anderen vorher predigten, dass sie nicht gegen Messi, sondern gegen Argentinien spielen würden, belehrte er sie eines besseren mit dem vorläufigen Höhepunkt nach einer guten halben Stunde. Erst legt er Rodrigo de Paul auf.  Der Mittelfeldabräumer und -antreiber konnte doch spielen, nachdem es sorgenvolle Berichte um seine Fitness gegeben hatte. Sein Schuss war aber zu schwach. 

Unmittelbar danach hinterließ Messi als brillanter Vorbereiter einen ratlosen van Gaal auf der niederländischen Bank. Mit einer kurzen Körpertäuschung düpierte er Nathan Aké rund 30 Meter vor dem Tor, lief mit dem Ball am Fuß weiter, schaute nach vorn, spielte aber ohne hinzusehen steil und präzise auf Molina, der im Fallen mit dem Außenrist Andries Noppert keine Chance ließ. Messi reckte die Faust nach oben und lachte ins Publikum – die WM erlebte Messi in der Glanzform der ruhmreichen Barça-Ära. 

Was auch immer van Gaal sich ausgedacht hatte – es funktionierte lange Zeit überhaupt nicht. Nur wenig später tanzte Messi erneut Aké aus, der Schuss mit dem schwächeren rechten Fuß machte Noppert keine Probleme. 

Die Niederländer waren nun gefordert. Van Gaal wechselte, brachte zwei frische Kräfte – ließ auf dem Papier aber nun noch defensiver spielen. Die Südamerikaner ließen sich zunächst etwas mehr zurückfallen, wirklich nutzen konnten die van-Gaal-Schützlinge das aber zunächst auch nicht. Und jedes Mal, wenn Messi an den Ball kam in seinem 24. WM-Spiel, mit dem er mit Miroslav Klose gleichzog und nur noch eines hinter Rekordhalter Lothar Matthäus liegt, wurde es ohnehin gefährlich und laut im Stadion. 

Ein Freistoß nach gut einer Stunde nach einem Foul an ihm selbst strich übers Tornetz. Beim Elfmeter zielte er genauer. Es war sein zehnter WM-Treffer, er zog mit Argentiniens WM-Rekordschütze Gabriel Batistuta gleich. In den Dauergesang der argentinischen Fans platzte dann aber Weghorsts Tor. 

Es wurden bange und hitzige Minuten. Rudelbildung, ein rotwürdiger Bodycheck von van Dijk, und dann zehn Minuten Nachspielzeit. Der Treffer zum 2:2 aber fiel in der elften Minute der Nachspielzeit nach einem unnötigen Foul der Argentinier. Statt über die Mauer zu schießen, passte der eingewechselte Teun Koopmeiners auf Weghorst, und der traf wieder. Diesmal zum Ausgleich: Verlängerung und sogar der ultimative Höhepunkt mit dem Elfmeterschießen.

Jens Marx, Sebastian Stiekel und Miriam Schmidt, dpa

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