Abwehrspieler Antonio Rüdiger sparte nicht mit Selbstkritik. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Tom Weller/dpa)

Für Abwehrchef Antonio Rüdiger liegt das Vorrunden-Aus der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußball-WM auch in der Mentalität begründet.

«Die letzte Gier, dieses etwas Dreckige – das fehlt uns», sagte der Profi von Real Madrid nach dem am Ende bedeutungslosen 4:2-Sieg gegen Costa Rica: «Viel Talent, alles schön und gut. Aber da gehört mehr dazu als einfach nur Talent, da spielen auch andere Faktoren eine Rolle. Da müssen wir uns verbessern, ansonsten kommen wir nicht weiter.»

Niederlage gegen Japan «hat uns gejagt»

Laut Rüdiger steht die deutsche Nationalmannschaft «wieder bei Null, das ist die harte Realität, aber das ist die Realität, in der wir uns befinden». Man sei am zweiten WM-Vorrunden-K.o. in Folge «selbst schuld», die Niederlage zum Auftakt gegen Japan «hat uns gejagt».

Die Kritik am Abwehrverhalten konnte Rüdiger nachvollziehen. «Ich denke, ich kann mich da nicht ausnehmen», sagte er, «als Mannschaft haben wir defensiv nicht funktioniert, das muss man so ganz ehrlich sagen». Doch auch offensiv hätte es besser laufen können, vor allem in Sachen Effizienz. «In beiden Mannschaftsteilen fehlt einiges.»

Hamann fordert Flick-Aus

Ex-Nationalspieler Dietmar Hamann forderte die Ablösung von Bundestrainer Hansi Flick. «Ich halte es für ausgeschlossen, dass wir mit dem Trainer weitermachen können nach diesem Debakel», sagte Hamann dem Pay-TV-Sender Sky. 

Das frühe Scheitern sei «das Ende einer großen Fußball-Nation». Dem Deutschen Fußball-Bund stellte Hamann insgesamt ein ungenügendes WM-Zeugnis aus. «Das war jämmerlich, wie wir uns verkauft haben – auf dem Platz und außerhalb. Ich wüsste keinen Grund, warum wir in dieser Konstellation weitermachen sollten», sagte der 49-Jährige.

Flick habe es in zwei Jahren nicht geschafft, eine Mannschaft zu formen, die konkurrenzfähig ist. «Es ist die Aufgabe eines Trainers, dass er sieht, welche Spieler zusammenpassen. Ich hatte in den drei Spielen nicht den Eindruck, dass da elf Spieler auf dem Platz stehen, die für das deutsche Trikot durchs Feuer gehen», kritisierte Hamann und fügte hinzu: «Wenn ich das nicht hinbekomme, mit welchem Glauben soll ich denn jetzt schauen, dass es in den nächsten 18 Monaten besser wird?» Im Sommer 2024 steht bereits die Heim-EM an. 

Mit Unverständnis reagierte der Ex-Profi, der unter anderem für den FC Bayern München und den FC Liverpool spielte, auf die Aussagen Flicks nach dem WM-Aus. «Wenn ich vom Bundestrainer höre, wir haben keinen Sechser, wir haben keine Außenverteidiger, wir haben keinen Neuner – das hat er vorher gewusst. Wenn er dachte, dass die Spieler, die er hat, nicht gut genug sind, hätte er den Job nicht machen sollen», sagte Hamann. Er hätte sich von Flick eine ähnliche Reaktion gewünscht wie bei dessen Trainerkollegen aus Mexiko und Belgien, die für das Scheitern ihrer Teams die «volle Verantwortung» übernommen hätten.

Klinsmann erwartet raue Zeit

Auch für Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann ist das Vorrunden-Aus eine «riesige Enttäuschung». Der Deutsche Fußball-Bund werde nun «seine Analyse beginnen, und es wird alles hinterfragt, von einem Ende zum anderen, während ein Hurrikan von den deutschen Medien aufzieht. Die nächsten Tage werden sehr, sehr rau und schwierig», schrieb der Weltmeister von 1990 in seiner Newsletter-Kolumne für die britische BBC.

«Deutschland hat das Weiterkommen nicht verdient», fasste Klinsmann zusammen. Das Team sei «in allen drei Gruppenspielen zu unbeständig» gewesen und habe im Angriff die notwendige Effizienz vermissen lassen. Die Heim-EM 2024 könnte bei der Neuausrichtung helfen.

«Deutschland hat jetzt anderthalb Jahre Zeit, um sich auf die EM vorzubereiten. Das kann eine gute Sache sein, es kann helfen, den Fokus neu auszurichten», meinte Klinsmann: «Sie können Trost in der Tatsache finden, dass sie das Wunderkind Jamal Musiala haben. Er ist ein außergewöhnlicher Spieler.» Allerdings sei es «nicht fair» gewesen, dass der 19 Jahre alte Profi von Bayern München bei der WM «die Erfahrung machen musste, dass fast das gesamte Team auf ihn angewiesen war», sagte Klinsmann: «Ich hoffe, das bringt ihn nicht aus seinem Spiel.» 

Es gebe noch andere Talente in der Mannschaft, «die noch nicht in den höchsten Gang geschaltet haben», glaubt der frühere Bundestrainer, «also kommen sie hoffentlich stärker zurück».

Hitzlsperger: «Keine Turniermannschaft mehr»

Das erneute frühe WM-Scheitern hat nach Ansicht von Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger endgültig den Nimbus der DFB-Auswahl zerstört. «Wir sind keine Turniermannschaft mehr», sagte der ARD-Experte am Donnerstag nach dem Vorrunden-Aus der Nationalmannschaft bei der Fußball-WM in Katar.

Schon 2018 war das DFB-Team in der WM-Vorrunde ausgeschieden. Das wirft laut Hitzlsperger grundsätzliche Fragen auf. «Sind wir wirklich so gut, haben wir wirklich so viele gute Spieler, wie wir glauben? Da wäre ich mir nicht so sicher», sagte der 40-Jährige.

Nationaltorhüterin Almuth Schult bemängelte die Einstellung der Mannschaft beim Turnier in Katar. «Ich fand nicht, dass es 100 Prozent waren von der kompletten Mannschaft. Deshalb sind sie zurecht ausgeschieden bei diesem Wettbewerb, weil sie nicht in den drei Spielen 100 Prozent gebracht haben», sagte Schult. 

Khedira: «Fußball ist auch Mentalität»

Ex-Weltmeister Sami Khedira sieht die Ursachen für die jüngsten Turnier-Enttäuschungen in der Ausbildung der Spieler. «Wir haben geile Zocker. Aber Fußball ist bisschen mehr als nur Zocken. Fußball ist auch Mentalität», sagte der 35-Jährige. Vor allem in der Defensive seien «banale Fehler» gemacht worden.

Dennoch müsse Bundestrainer Hansi Flick eine weitere Chance zur Bewährung bekommen. «Er ist sehr klar, er ist selbstkritisch, hat eine gute Spielidee, ist ein Menschenfänger. Ich sehe ihn als extrem guten Trainer», urteilte Khedira.

Hitzlsperger sieht es als «absoluten Quatsch, den Trainer rauszuschmeißen». Für Flick sei dies «eine bittere Erfahrung. Aber natürlich hat er verdient, es bei der Europameisterschaft besser zu machen.»

Badstuber mit scharfer Kritik: «Ein Debakel»

Der frühere deutsche Fußball-Nationalspieler Holger Badstuber hat das deutsche Vorrunden-Aus bei der WM in Katar mit scharfer Kritik kommentiert. «Es ist ein Debakel. Schwach, peinlich, unwürdig, enttäuschend», schrieb Badstuber, der einst selbst im EM-Halbfinale 2012 gegen Italien im Duell mit Mario Balotelli eine unrühmliche Figur abgegeben hatte, in seiner Kolumne auf Eurosport.de.

«Jetzt ist eine Generation in der Nationalmannschaft, die einfach nicht mehr das gewisse Etwas hat, die nicht mehr den gewissen Extrameter macht, die nicht genug Biss hat. Das war 2018 so, bei der EM auch und jetzt. Das sind drei Turniere, die sportlich eine Katastrophe waren», ergänzte Badstuber, der in der Bundesliga für Bayern München, Schalke 04 und den VfB Stuttgart spielte.

Der Fokus müsse nun weggehen von irgendwelchen Systemen, Ballbesitz-Fußball und Offensive, sondern hin zu einer defensiven Grundstruktur. «Defensive gewinnt Titel! An diesem alten Sprichwort hat sich rein gar nichts verändert», so der 31-malige Nationalspieler, der jüngst seine Karriere beendet hatte.

Glasner vom WM-Aus nicht überrascht

Für Oliver Glasner kam das Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft in der Gruppenphase der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar nicht überraschend. Für den Erfolgstrainer von Bundesligist Eintracht Frankfurt lag der Grund dafür bereits im ersten Spiel. Dadurch habe man es nicht mehr selbst in der Hand gehabt, sagte der Österreicher dem Sender Hit Radio FFH. 

«Das Ausscheiden ist in Wahrheit mit dem ersten Spiel gegen Japan schon fast passiert. Gestern war es ein Spiel wie schon das ein oder andere von Deutschland, offensiv wahnsinnig viele Chancen erspielt, aber trotzdem immer anfällig für Gegentore. Das zieht sich, glaube ich, schon seit längerer Zeit ein bisschen durch», sagte Glasner.

Bonhof für Flick: «Er macht einen tollen Job»

Der ehemalige Fußball-Weltmeister Rainer Bonhof hält die Diskussionen über Bundestrainer Hansi Flick nach dem vorzeitigen WM-Aus der DFB-Elf für vollkommen überflüssig. «Das ist doch wahnsinnig darüber nachzudenken. Hansi macht einen tollen Job. Und es geht auch nicht darum, wer es stattdessen macht, es geht darum, dass Flick gut ist», sagte der WM-Sieger von 1974 der Deutschen Presse-Agentur. Natürlich sei er selbst auch traurig und sauer, aber dass sich ganz Deutschland jetzt frage, was wir alles falsch machen, sei auch nicht der Ansatz.

«Die Mannschaft hat gegen Spanien ein absolut gutes Spiel gezeigt, aber die anderen Mannschaften sind halt auch nicht schlecht. Wir müssen anerkennen, dass die sogenannten Kleinen nicht mehr klein sind. Auch die Japaner haben gezeigt, dass «sie ihr Spiel spielen und das durchziehen», sagte Bonhof. Das hohe Anspruchsdenken in Deutschland sei völlig verständlich. «Wenn man irgendwann mal Weltmeister geworden ist, hat man diese Ansprüche», befand Bonhof. 

In der Ausbildung müsse man vielleicht auch an der Willensschulung und am Gemeinschaftssinn arbeiten. «Fußball ist ein Mannschaftssport mit Zweikämpfen, je mehr wir davon gewinnen, desto besser», erklärte der 70-Jährige. Bonhof, der von 1990 bis 1998 als Assistent von Cheftrainer Berti Vogts für die DFB-Elf zuständig war, nimmt die Spieler in die Pflicht: «Sie müssen sich an die eigene Nase fassen. Früher haben wir uns den Biss und die Aggressivität im Training geholt, selbst ein Günter Netzer hat erkannt, dass er auch nach hinten arbeiten muss.»

Bundeskanzler traurig über Deutschlands WM-Aus

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bedauert das frühe Ausscheiden der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Katar. «Der Bundeskanzler ist glaube ich wie alle Fußballfans in Deutschland bedrückt darüber, traurig, dass die deutsche Nationalmannschaft nicht weiter gekommen ist», sagte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner in Berlin. Scholz habe noch Bundestrainer Hansi Flick eine «freundliche SMS» geschrieben und «herzliche Grüße» an die deutschen Spieler ausrichten lassen. 

Völler vermisst «die letzte Gier»

Der ehemalige DFB-Teamchef Rudi Völler hat nach dem vorzeitigen WM-Aus der Fußball-Nationalmannschaft die Stärken früherer deutscher Teams vermisst. «Man hatte das Gefühl, dass die letzte Gier fehlt. Der letzte Wille, vorne das Tor erzielen und hinten das Tor verteidigen zu wollen», sagte der Weltmeister von 1990 dem «Kölner Stadt-Anzeiger». «Wir hatten abgesehen von 1990 nicht immer die beste Mannschaft, aber wir haben dann doch immer wieder einen Weg gefunden, weit zu kommen, weil wir diese Gier hatten. Das habe ich bei dieser WM vermisst», sagte Völler. 

Er mache sich aber keine Sorgen um die Zukunft des deutschen Fußballs. «Wir haben Spieler wie Jamal Musiala, Florian Wirtz, Kai Havertz und Leroy Sané, nach denen sich andere Nationen die Finger lecken würden. Dazu Joshua Kimmich, der auch erst 27 ist. Das sind wunderbare Spieler, hier ist Qualität genug vorhanden», befand der 62-Jährige. 

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