Nach der 1:3-Niederlage in Mainz steht die Führungsriege des FC Bayern hart in der Kritik. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Sven Hoppe/dpa)

Die Bilder der frustrierten Bayern-Bosse auf ihren Ehrenplätzen gleichen sich in schockierenden Bayern-Wochen Spiel um Spiel. Mit eisigen Mienen kassieren Oliver Kahn (53), Hasan Salihamidzic (46) und Herbert Hainer (68) fortlaufende Wirkungstreffer im Kampf um Titel und Trophäen.

Einen Monat vor der turnusgemäßen und schon lange zuvor geplanten Sitzung des Aufsichtsrats, in dem die Meinung von Ehrenpräsident Uli Hoeneß nach wie vor die wohl wichtigste ist, wird öffentlich heftig die Schuldfrage am Mia-san-Mia-Desaster diskutiert.

Wird am 22. Mai, wenn das Kontrollgremium um Aufsichtsratschef Hainer tagt, über das Ende der bis Ende 2024 datierten Amtszeit des Vorstandsvorsitzenden Kahn befunden? Oder rückt Sportvorstand Salihamidzic, dessen Vertrag bis Juni 2026 läuft, in den Fokus? Bekommen beide weiter das Vertrauen? Oder kommt es gar zum ganz großen Knall und die operative Führung wird komplett neu aufgestellt?

Das Gespenst der Titellosigkeit

Nimmt man die von Hoeneß gerne auf sportliche Angelegenheiten umgemünzte Börsenweisheit «The trend ist your friend» als Maßstab, wird es personelle Konsequenzen geben. Das würde allerdings für den FC Bayern, der in seiner XXL-Krise aktuell schon zwei Trainer bezahlen muss, auch kostspielig.

«Wo sind die Stellschrauben, an denen wir drehen müssen», sagte Hainer. Der langjährige Adidas-Boss meinte mit seiner Aussage in wilden Tagen zwar das Personal des teuersten Kaders der Club-Historie. Doch eine tiefe Analyse gibt es auch auf anderen Ebenen – zumal Kahn und Salihamidzic durch den spektakulären Trainerwechsel von Julian Nagelsmann hin zu Thomas Tuchel ein hohes und zumindest kurzfristig nicht ausgezahltes Risiko gingen.

Statt eines Schubs hat sich die Lage drastisch verschlechtert: Drei Titel waren vor einem Monat möglich, jetzt belegen die Münchner nach dem Aus in Europa und im Pokal in der Liga nur den zweiten Platz hinter Borussia Dortmund. Es gilt, wenigstens noch die Meisterschaft zu sichern – und weiteren Schaden vom neuen Hoffnungstrainer Tuchel abzuwenden.

Nach der bisher letzten Münchner Titel-Nullnummer im tränenreichen Sommer 2012, als die Bayern dem BVB zum Double und dem FC Chelsea im «Finale dahoam» zum Henkelpott gratulieren mussten, war die Amtszeit von Sportdirektor Christian Nerlinger zu Ende; Matthias Sammer kam als Sportvorstand. Im ganzen Verein setzte der tiefe Schmerz nach drei zweiten Plätzen Kräfte für ein herausragendes Jahrzehnt der ruhmreichen Rekordmeister-Historie frei.

Vom Transfer-Olymp in die Kritik

Jetzt ist Kahn in das grelle Licht der öffentlichen Kritik gerückt. Aber auch die Personalpolitik von Salihamidzic wird im Schatten des Vorstandschefs kontrovers diskutiert. Nachdem der Bosnier, der 2017 Sportdirektor wurde und 2020 in den Vorstand aufstieg, vor einem guten halben Jahr als Transferkönig gefeiert wurde, werden nun Schwächen des Kaders bemängelt.

Besonders erkennbar ist die Fehlstelle im Angriffszentrum nach dem Abgang von Robert Lewandowski zum FC Barcelona. Der als glanzvoller Königstransfer präsentierte Sadio Mané traf nach vielen Problemen zwar in Mainz, aber der große Leistungsträger ist er nicht. Zudem präsentiert sich das Ensemble, das in diesem Jahr ohne Führungsfigur Manuel Neuer auskommen muss, keineswegs als Einheit.

Salihamidzic kann sich anders als Kahn mit dem historischen Sechs-Titel-Jahr 2020 unter Trainer Hansi Flick, mit dem er sich zerstritt, schmücken. Und er hat das Plus, dass sein Draht an den Tegernsee und zu «Mr. FC Bayern» Uli Hoeneß als enger gilt als der von Kahn. «Mit Kritik muss man leben, weil die Ergebnisse weggeblieben sind», sagte Salihamidzic. Aber er stehe dennoch mit «breiter Brust» da.

Kahn will standhaft bleiben

Das versucht auch Kahn, der nach dem Mainz-Flop «keinen Millimeter nachgeben» will. Als früherer Torwart-Titan war er mit der schier unbeugsamen «Weiter, immer weiter»-Mentalität das verkörperte Mia-san-mia. Was auch ein Argument für Hoeneß war, die Verpflichtung Kahns voranzutreiben. Als Vorstandschef – das hatte Kahn bei seiner Antrittsrede als einfaches Vorstandsmitglied im Januar 2020 aber bereits angekündigt – agiert er verständlicherweise ruhiger und analytischer. Der im Sommer 2021 zum Nachfolger von Karl-Heinz Rummenigge beförderte Kahn startete im größten Sportverein der Welt sein «clubübergreifendes Strategieprojekt FC Bayern Ahead», das in einer plakativen Fußball-Welt aber nicht so gut zu greifen ist wie Titel und Ergebnisse. «Nur» Meister 2022? Und nun?

Gemessen wird Kahn in erster Linie an Titeln – das ist auch dem CEO selbst klar. Das wisse er schon aus seiner Spielerzeit beim FC Bayern, sagte der langjährige Kapitän. Er werde nach der Saison in sich gehen und sich «viele, viele Fragen» stellen.

Schon vor möglichen Personalentscheidungen werden erstaunlicherweise wie selbstverständlich Kahn-Nachfolgeszenarien diskutiert. Spektakuläre Varianten wie die mit Uli-Hoeneß-Sohn Florian oder die eines Rummenigge-Comebacks sind schwer vorstellbar. Ebenso wie eine Lösung mit dem früheren DFB-Direktor Oliver Bierhoff, der nicht zu den Hoeneß-Lieblingen zählt. Nach der erfolgreichen Arbeit für die Deutsche Fußball Liga hätte der frühere Geschäftsführer Christian Seifert zweifelsfrei die Klasse für einen Posten in der Bayern-Spitze. Seifert ist aktuell allerdings zusammen mit dem Medienunternehmen Axel Springer SE mit einer neuen Sport-TV-Plattform beschäftigt.

Aufsichtsrat soll Klarheit bringen

Ob der Club im Fall der Fälle auch die Maxime überdenken würde, dass die Führungscrew aus ehemaligen Fußball-Stars bestehen soll? Weitreichende Fragen gilt es nach dem Ende der sorgenfreien Tage an der Säbener Straße zu beantworten. Als Stunde der Wahrheit gilt die Sitzung des Aufsichtsrats, in dem Hoeneß unter Größen aus Wirtschaft und Politik das weitaus größte Fußball-Know-how mitbringt.

«So, wie der FC Bayern dasteht, können die Fans sehr zufrieden sein. Hasan hat ein herausragendes Gespür für die Kader-Entwicklung und den gesamten sportlichen Bereich. Oliver bringt den FC Bayern als Vorstandsvorsitzender mit innovativen Ideen für die Zukunft voran», lobte Hainer erst im März. «Ich kümmere mich um den Gesamtverein und stehe dem Vorstand mit Rat und Tat zur Seite, unterstütze mit meinem Netzwerk und mit meiner Erfahrung aus der Wirtschaft.» Fünf Wochen später ist die Bayern-Welt nicht mehr so rosig.

Christian Kunz, dpa

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