Bayern-Star Thomas Müller beim Abschlusstraining. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Sven Hoppe/dpa)

Thomas Müller beschwört «diesen FC-Bayern-Geist». Was auch sonst?! In ihrer aussichtslos wirkenden Lage bleibt den taumelnden Münchnern um den anfangs so euphorischen Trainer Thomas Tuchel gar nichts anderes übrig, als bei Pep Guardiolas Rückkehr in die Allianz Arena auf ein Fußball-Wunder historischen Ausmaßes zu hoffen. 

Und vor allem mit hundert Prozent Energie und Mentalität daran zu glauben und dafür zu arbeiten. Denn im 282. Königsklassenspiel muss dem deutschen Rekordmeister am Mittwoch (21.00 Uhr/DAZN) nach dem 0:3 im Viertelfinal-Hinspiel bei Manchester City ein spektakuläres Comeback gelingen, um sich doch noch ins Halbfinale zu retten. «Vielleicht ist was Magisches möglich», sagte Europa-Veteran Müller, der persönlich auf 99 Siege in der Königsklasse zurückblickt. Vielleicht wird der 100. sein größter und emotionalster. 

Einige wenige Vorbilder für Wunder in der K.o.-Phase gibt es, etwa von Jürgen Klopp mit dem FC Liverpool und dem damals noch für die Reds stürmenden Neu-Münchner Sadio Mané beim 4:0 gegen den FC Barcelona im Halbfinale 2019. Kapitän Müller hofft auf ein brodelndes Stadion und verspricht den Fans eine Bayern-Elf, die Vollgas gibt und alles versuchen wird: «Es geht voll drauf! Wir sind schon noch da!»

Stürmer Choupo-Moting wieder fit

Beim Abschlusstraining im kühlen München richteten sich die Objektive der TV-Kameras und Fotografen vor allem auf Eric Maxim Choupo-Moting und den begnadigten Problemstar Mané. Der zuletzt wegen Knieproblemen pausierende Choupo-Moting meldete sich fit. Der 34-Jährige ist der große Hoffnungsträger auf Tore. 

Was macht Tuchel? Womit überrascht der Trainer? Setzt er auf eine spezielle Jetzt-erst-recht-Haltung beim nach seinem Kabinen-Clinch mit Leroy Sané begnadigten Mané und stellt den Man-City-Kenner in die Startelf? Und reagiert er auch im Mittelfeld, wo Joshua Kimmich und Leon Goretzka schwächeln? Beim matten 1:1 gegen Hoffenheim zog Tuchel in der zweiten Hälfte João Cancelo vor an Kimmichs Seite. 

Vor allem aber brauchen die Bayern Tore, Tore, Tore. Die Offensivabteilung muss liefern, nachdem zuletzt nur noch Abwehrspieler getroffen hatten. Diese müssen sich aber vor allem darauf fokussieren, Man Citys Sturmgewalt namens Erling Haaland zu stoppen. «Wir haben die Pflicht, in diesem Rückspiel nochmal alles, was möglich ist, reinzuwerfen», forderte Bayern-Chef Oliver Kahn. Auch für die Bosse ist der Ausgang des Rückspiels zukunftsweisend.

Tatsache ist: Viel mehr als der spezielle «Bayern-Geist» spricht nicht für einen Bayern-Coup. Der Trainerwechsel hat keinen Titelschub freigesetzt. Etliche Spieler sind nicht in Form, individuelle Fehler an der Tagesordnung. Vorne herrscht Flaute. Ex-Bayern-Coach Guardiola dagegen kehrt mit einem Team an seine frühere Wirkungsstätte zurück, das top funktioniert und dazu im Ex-Dortmunder Haaland einen Mann auf dem Platz hat, der nach Herzenslust trifft. Man City wirkt 2023 endlich reif für den so oft verpassten Königsklassen-Triumph. Trotzdem warnte Guardiola: «Die Bayern werden am Limit spielen. Ich kenne sie.»

Müller hält Wunder für möglich – aber…

Müller skizzierte, wie das Drehbuch für das «Wunder von München» aussehen könnte. «Es muss einiges in unsere Richtung laufen», weiß der 33 Jahre alte Anführer, der beim Hinspiel von Tuchel nur spät als Joker gebracht wurde. «Wenn wir uns mal vorstellen, wir machen in der ersten Halbzeit ein Tor. Dann gehst du in die zweite Hälfte mit der Aussicht, vielleicht machst du ein zweites Tor. Und spätestens ab da kann jeder Ball, jeder Pfiff, jede Situation entscheidend sein. Möglich ist es», sagte Müller, der in seine Schilderung allerdings auch ein «Aber»  einbaute: «Aber klar, es steht auch noch ein Gegner auf dem Platz.»

«Das Fenster ist kleiner geworden, es ist nicht mehr viel Platz für Fehler», sagte Müller. Aussetzer wie von Abwehrspieler Dayot Upamecano vor dem 0:2 in Manchester sind nicht mehr drin. Es braucht ein perfektes Bayern-Spiel, angefangen bei Torwart Yann Sommer über die Anführer Kimmich und Müller bis hin zur Sturmspitze Choupo-Moting. 

«Wir wissen alle, dass wir eine ganz andere Leistung brauchen. Wir alle wissen, dass wir das können, aber wir müssen es auf den Platz bringen», sagte Kimmich nach dem energielosen Auftritt gegen Hoffenheim, der Trainer und Spieler gleichermaßen schockte. «Die Zuversicht ist gesunken», gestand ein desillusionierter Tuchel danach mit Blick auf Man City. 

Statt Aufbruchstimmung zu erzeugen, wurde Untergangsstimmung geschürt. «Wir lassen uns von der Gesamtgemengelage nicht runterziehen», sagte Müller trotzig. Ein Champions-League-K.o. würde aber unweigerlich die längst entbrannten Debatten über die Bosse um Kahn und Hasan Salihamidzic, die offenkundigen Baustellen im teuren Luxuskader und auch die künftige sportliche Ausrichtung unter Nagelsmann-Nachfolger Tuchel massiv befeuern.

Die voraussichtlichen Aufstellungen:

Bayern München: Sommer – Pavard, Upamecano, de Ligt, Davies – Kimmich, Cancelo – Sané, Müller, Mané – Choupo-Moting

Manchester City: Ederson – Akanji, Stones, Ruben Dias, Aké – Rodrigo – De Bruyne, Gündogan – Bernardo Silva, Haaland, Grealish

Schiedsrichter: Turpin (Frankreich)

Klaus Bergmann und Christian Kunz, dpa

Von