Nahm therapeutische Hilfe in Anspruch: Ex-Nationalspieler Nils Petersen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Tom Weller/dpa)

Über den Beginn seiner Leidenszeit kann Nils Petersen heute lächeln. Er hatte sich zu einer Psychotherapeutin begeben, berichtete von Schlafstörungen. Auf die Frage, seit wann er diese habe, antwortete Petersen knapp: «Seit vorgestern.»

Was nach einer flapsigen Anekdote klingt, entwickelte sich zu einer anderthalb Jahre währenden Therapie, zu einer dunklen Zeit, in welcher der frühere Bundesliga-Profi um mehr als nur seine Karriere fürchtete. «Es ging nur noch darum, wie ich meinen Kopf ausschalten und schlafen kann. Es war für mich eine existenzielle Angst, was als Nächstes kommt», sagt Petersen der Deutschen Presse-Agentur.

Petersen stellte Selbstdiagnosen

Angefangen hat alles mit einer schlaflosen Nacht. Ironischerweise am Höhepunkt seiner Fußball-Karriere. Petersen weilte 2018 im Trainingslager der Nationalmannschaft. Südtirol. Kurz vor der WM in Russland. Joachim Löw hatte den Stürmer überraschend ins vorläufige Aufgebot berufen. Petersen bekam kein Auge zu, wie er in seinem am 24. Juli erscheinenden Buch «Bankgeheimnis» berichtet. Also googelt er, stellt Selbstdiagnosen. «Mein Kopf stand nicht mehr still», sagt Petersen.

Dass er so schnell merkte, dass mit ihm etwas nicht stimme, schreibt Petersen dem Gespür zu, das man als Leistungssportler für seinen Körper hat. Fortan wurde der Donnerstag zum wichtigsten Tag seiner Woche. Donnerstag war Therapietag. 18 Monate lang.  «Letztlich hat es anderthalb Jahre gedauert, dass ich auch ohne die Therapie gut zurechtkam. Vorher dachte ich, hoffentlich ist es bald wieder Donnerstag. Da waren die Sitzungen», sagt er.

Neuer Nils ist «deutlich ausgeglichener»

«Es ist ein innerer Kampf. Ich hätte mir natürlich lieber den Arm gebrochen und dann gewusst, in ein paar Wochen ist das geheilt», sagt der 34-Jährige. «Aber niemand weiß oder kann prognostizieren, wann das aufhört. Ich hatte schlicht die Lebensfreude verloren.» Heute schläft er hervorragend, sagt von sich, er sei nun «der neue Nils». Zu Beginn wünschte sich seine Frau Carla noch den alten Nils zurück, «heute findet sie den neuen deutlich ausgeglichener».

Als geheilt betrachtet sich Petersen nicht, sieht so etwas auch gar nicht als unbedingt möglich an. «So etwas verschwindet nie gänzlich. Das ist ja wie eine Narbe, die regelmäßig juckt», sagt der zweimalige Nationalspieler. Man finde aber bestenfalls einen Umgang damit und wisse, was nötig ist, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen.

Hohe Dunkelziffer an mentalen Erkrankungen

Die mentale Gesundheit ist ein sehr privates Thema. Ein Tabu – gerade im hart umkämpften Millionengeschäft Fußball – sieht Petersen jedoch keinesfalls. «Eher ein offenes Geheimnis. Wenn man sich artikuliert, merkt man erst einmal, dass auch andere Kollegen unter ähnlichen Problemen leiden oder was manche für Rucksäcke mit sich herumschleppen», sagt Petersen. Man sei nicht allein. «Ich vermute, die Dunkelziffer ist sogar recht hoch, im Fußball wie in der Gesellschaft. Da sollte jeder seinen Weg finden.»

Angst vor Stigma im Fußball

Dass Profis offen darüber reden, ist verständlicherweise selten. Timo Baumgartl ist einer von ihnen. Psychologische Unterstützung ist für den im Mai 2022 an Hodenkrebs erkrankten Abwehrspieler schon lange selbstverständlich. «Weil ich für mich gesagt habe: Das ganze Fußballsystem mit dem Druck und den Erwartungen – das kann nicht gesund sein für einen Menschen», sagte Baumgartl im Podcast «Vom Feeling her ein gutes Gefühl».

Zwar bekommt die mentale Gesundheit im Leistungssport immer mehr Aufmerksamkeit. Auch, weil bekannte Sportler wie Petersen, Baumgartl, Simone Biles, Naomi Osaka oder Marcel Kittel damit an die Öffentlichkeit gegangen sind und ein angemessenes Bewusstsein geschaffen haben. Der Schritt dahin ist allerdings meist ein großer. Zu groß ist die Angst vor einem Stigma, in der von Druck geprägten Leistungsgesellschaft als jemand mit einem Makel abgestempelt zu werden. Baumgartl spricht deshalb jedem Mut zu: «Jeder, der zur Therapie geht, darf stolz auf sich sein.»

Von Tom Bachmann, dpa

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