In 100 Tagen beginnt die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Alexander Hassenstein/Getty-POOL/dpa)

In 100 Tagen startet die Fußball-EM in Deutschland. Während bei DFB-Sportdirektor Rudi Völler und Turnierchef Philipp Lahm die Vorfreude «riesig» ist, ist im Land von Euphorie noch wenig zu spüren.

Das war kurz vor der WM 2006 aber auch nicht anders, als schlechtes Wetter, eine wirtschaftliche Flaute und miese Ergebnisse der Nationalmannschaft auf die Stimmung drückten. Das Ende ist bekannt: Ein Sommermärchen verzauberte die (Fußball-)Welt. Auch deswegen herrscht weiter großer Optimismus bei Organisatoren und in Wirtschafts- und Kulturbranchen. Nur die Fans sind eher skeptisch. Die Deutsche Presse-Agentur zeichnet ein Stimmungsbild.

Die Nationalmannschaft

Trotz enttäuschender Ergebnisse bei den zurückliegenden Großturnieren glaubt DFB-Sportdirektor Rudi Völler an eine erfolgreiche und stimmungsvolle EM. Ein «top Bundestrainer» und «junge Talente» sowie «viel Qualität im vorderen Bereich und Mittelfeld» stimmten den 63-Jährigen optimistisch, wie er am Mittwoch sagte. «Mit fußballerischer Eleganz, Kampfgeist und Willen wollen wir das Volk hinter uns bekommen», fügte Völler an.

Der Weltmeister von 1990 erwartet vom 14. Juni bis 14. Juli ein Riesen-Fußballfest. «Ergebnisse kann man nicht voraussagen, aber wir werden alles dafür tun, um für Euphorie zu sorgen», versprach Völler. Verbesserungspotenzial sieht er in der Defensive. «Da müssen wir stabiler werden. Der Bundestrainer hat sich seine Gedanken gemacht bei seiner Nominierung.» Nagelsmann will am 14. März seinen Kader für die anstehenden Testspiele bekannt geben.

Organisatoren

Philipp Lahm macht sich keine Sorgen. «Die Begeisterung ist da für das Turnier – in Deutschland, aber auch weltweit», sagte der Chef des Organisationskomitees. «Natürlich ist es hilfreich, wenn es eine deutsche Mannschaft gibt, die als Team auftritt, mit der sich der Fan identifizieren kann. Wenn die Begeisterung von den Spielern auf die Zuschauer überschwappt und umgekehrt, kann das eine Mannschaft beflügeln.»

Lahm sieht die EM auch als Chance, im eigenen Land und in der Welt näher zusammenzurücken. «Das ist gerade in diesen gesellschaftspolitisch schweren Zeiten wichtig. Wir dürfen Fußball auch nicht überhöhen, aber Fußball kann Menschen zusammenbringen».

Fanfeste

Es herrsche eine «Ruhe vor dem Sturm», die aktuell aber sehr willkommen sei, «denn dadurch haben wir gerade noch Zeit, alle Vorbereitungen zu treffen», sagte Geschäftsführer Moritz van Dülmen von «Kulturprojekte Berlin», das für die Planung und Umsetzung des Fanfests am Brandenburger Tor verantwortlich ist. Ein überdimensionales Tor direkt vor dem wichtigsten Wahrzeichen der Hauptstadt und ein dort ausgerollter Rasen sollen für Fußball-Flair sorgen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser sprach von «12 Millionen Besuchern und Besucherinnen», die für die EM nach Deutschland kommen. Davon werden laut Dülmen 2,5 Millionen Gäste in Berlin erwartet. Die Fanmeile, die zum Riesenerfolg der WM 2006 mit beigetragen hat, werde auch an den 31 EM-Tagen gut gefüllt sein. Auch Sprecher Tobias Kohler vom Olympiapark München, wo alle 51 EM-Spiele live auf drei Großbildleinwänden gezeigt werden, ist «sehr zuversichtlich». Spätestens ab EM-Start «können wir uns auf ein tolles Fest freuen», sagte er.

Brauereien

«Bier und Fußball gehören seit jeher zusammen», sagte Hauptgeschäftsführers Holger Eichele vom Deutschen Brauer-Bund. Deswegen biete die EM für seine Branche «ein großes Potenzial». Millionen Fans in den Stadien, bei Public Viewings, in Bars, Restaurants oder heimischen Wohnzimmern dürften auch diesmal für einen Mehrumsatz sorgen. 2006 sei vor und während der WM rund fünf Prozent mehr Bier verkauft worden als sonst in Sommerwochen. «Die Brauereien jedenfalls sind gut vorbereitet und freuen sich auf den Anpfiff», sagte Eichele: «Aber ein Sommermärchen wird es nur werden, wenn das Wetter mitspielt und unsere Nationalmannschaft erfolgreich ist.»

Tourismus

Für die Tourismusbranche sind die Leistungen des deutschen Teams eher zweitrangig, sie setzt vor allem auf viele reisefreudige Fans aus dem Ausland, gutes Wetter – und positive Bilder. «Ein gastfreundliches Miteinander im Stadium, in der Fußgängerzone oder über den Bildschirm in die Welt zu tragen, wäre ein unbezahlbarer positiver Effekt für das gesamte Reiseland Deutschland», sagte Geschäftsführer Norbert Kunz vom Deutschen Tourismusverband.

Auch Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband hofft auf einen «positiven Imageeffekte und nachhaltige Impulse für den Tourismus-Standort Deutschland» – so wie nach 2006. Konkrete wirtschaftliche Umsatzeffekte seien nur schwer zu benennen und von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, so Hartges.

Hauptgeschäftsführer Markus Luthe vom Hotelverband Deutschland verspricht, dass sich deutsche Hoteliers als «offene, herzliche und professionelle Gastgeber» präsentieren. Deutschlandweit würden sie über 30.000 Hotels, Hotels garnis, Gasthöfe und Pensionen mit rund 1.000.000 Gästezimmern bereithalten.

Fans

Sommermärchen 2.0? Daran glauben nur die wenigsten Fußballfans. Bei einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur Anfang Dezember gaben nur fünf Prozent der Befragten an, «ja, bestimmt» eine ähnliche Hochstimmung zu erwarten. Zwölf Prozent konnten sich das in Teilen vorstellen.

Von Jörg Soldwisch und Jordan Raza, dpa

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