Robert Andrich neben Toni Kroos? Wohl eine aussichtsreiche Option für die EM. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Christian Charisius/dpa)

Jetzt wird’s knallig bunt beim Nationalteam. Doch bei der großen Länderspiel-Premiere der Fußball-Zauberer Florian Wirtz und Jamal Musiala in Pink und Lila gegen das niederländische Oranje-Team soll die kontroverse Debatte ums EM-Trikot an den Rand gedrückt werden.

Julian Nagelsmann will mit der von ihm personell entrümpelten und frisch gestylten Nationalelf nach dem erstaunlichen 2:0 in Frankreich die EM-Euphorie mit einem weiteren Achtungserfolg im Heimspiel gegen den Erzrivalen aus dem Nachbarland richtig entfachen. Im Fußball geht es oft schnell: Zwei Siege – und es leuchtet wieder hell.

«Ich habe die gleiche Erwartungshaltung wie in Lyon. Da hatten wir einen guten Mittelweg aus Leichtigkeit und Arbeit», sagte der Bundestrainer zur Herangehensweise am Dienstag (20.45 Uhr/RTL) im Frankfurter EM-Stadion. Den dominanten Frankreich-Auftritt gelte es zu bestätigen. Die Holländer sind dafür ein idealer Prüfstein, zumal sie Deutschlands EM-Auftaktgegner Schottland gerade mit 4:0 abfertigen konnten. «Auch mit den Niederlanden ist zu rechnen», sagte Nagelsmann zur Rolle des Nachbarn bei der EM-Endrunde im Sommer.

Nagelsmann will seine Idee jetzt «durchziehen»

War Lyon wirklich der Wendepunkt nach Jahren der Länderspiel-Finsternis? Diese Frage will Nagelsmann mit seinem neuen und klar strukturierten Kader beim drittletzten Probelauf vor dem Turnier-Ernstfall mit einem klaren «Ja» beantworten. Und darum ist auch keine Rotation vorgesehen. «Wenn alle Spieler frisch sind, kann es eine Veränderung geben», sagte er. Aber sechs oder sieben Wechsel seien nicht geplant. Gründe für Umstellungen gibt es nicht.

Sie würden auch nicht zu Nagelsmann neuer, rigider EM-Strategie passen, wie er selbst ausführte: «Die Rollengespräche haben wir geführt mit einer gewissen Idee. Dann muss man die Idee auch durchziehen, natürlich immer unter Berücksichtigung der Belastung.»

Übersetzt heißt das: Umstellungen wird es nur geben, falls einer der Lyon-Starter nicht ganz fit erscheint. Die eingeladenen EM-Kandidaten gehen Nagelsmanns klaren Kurs der A- und B-Besetzungen mit, egal ob sie Stammkraft oder Herausforderer hinten dran sind.

Klare Hierarchie in der Mannschaft

«Kurz vor dem Turnier ist es extrem wichtig, dass jeder Spieler weiß, wo er dran ist. Jeder weiß um seine Rolle, das ist wichtig in einer Mannschaft mit so vielen Spielern», sagte Kai Havertz. Die neue Rollenzuteilung als Mittelstürmer Nummer eins dankte er Nagelsmann mit dem Tor zum 2:0-Endstand gegen Frankreich. Klaglos fügte sich derweil in Lyon Niclas Füllkrug in die Joker-Rolle, obwohl der Dortmunder Angreifer bis zur 80. Minute auf die Havertz-Auswechslung und den eigenen Kurzeinsatz warten musste. «Wir haben eine klare Rollenverteilung, eine klare Hierarchie in der Mannschaft», sagte der 31-Jährige.

Und die geht so: Ganz oben in der Hierarchie stehen Rückkehrer Kroos, Kapitän Ilkay Gündogan, der gegen die Niederlande sein 75. Länderspiel bestreiten wird, sowie der langjährige Kapitän und Torwart Manuel Neuer, wenn er nach seiner aktuellen Verletzung zur Heim-EM als Nummer eins zurückkehrt. Dahinter kommen Abwehrchef Antonio Rüdiger und Joshua Kimmich, auch wenn der Münchner wieder nach rechts hinten versetzt wurde.

Gesperrter Sané muss wohl kämpfen

Dahinter folgen weitere, für die EM-Wunschelf gesetzte Akteure wie die Youngster Wirtz und Musiala oder Jonathan Tah. Dessen Leverkusener Vereinskollege Robert Andrich und der Stuttgarter DFB-Debütant Maximilian Mittelstädt warben in Frankreich für sich. «Natürlich gehört auch ein bisschen Mut dazu, einen Maximilian Mittelstädt reinzuwerfen. Aber ich mache das aus Überzeugung», erläuterte Nagelsmann seine Handlungsweise.

Von einem Kern von 13 bis 14 Stammspielern im 23-köpfigen EM-Kader sprach der Bundestrainer. Turnier-Veteran Thomas Müller und der Stuttgarter Chris Führich wurden gegen Frankreich zuerst eingewechselt. Auch das war ein Zeichen. Um seine gewohnte Starter-Rolle wird auch Leroy Sané kämpfen müssen, wenn er seine Drei-Spiele-Sperre vor dem letzten EM-Test am 7. Juni gegen Griechenland abgesessen hat. Der Bayern-Profi kommt am Dienstag ins Teamquartier und wird am Abend als Zuschauer im Stadion sein.

Nagelsmann gibt die Ausrichtung vor, die Kroos und Co. umsetzen müssen. «Den Mut, den wir in gewissen Entscheidungen vorleben, wollen wir auch auf dem Platz sehen», sagte der Bundestrainer: «Wir werden auch gegen die Holländer wieder sehen wollen, dass wir versuchen, das Spiel zu gestalten und uns selbst etwas zutrauen.» Motto: «Wir kicken!»

Andrich will gegen Oranje den «Groove reinbekommen»

Der Erfolg in Frankreich hat allen gutgetan, dem Bundestrainer, den DFB-Verantwortlichen um Rudi Völler – und nicht zuletzt den Spielern. «Auf das Holland-Spiel hätten wir uns auch so gefreut», sagte Füllkrug angesichts der speziellen deutsch-niederländischen Rivalität. Aber der Schub des Frankreich-Sieges macht vieles leichter: «Das Selbstbewusstsein wächst.»

Gegen die spielstarken Holländer von Bondscoach Ronald Koeman mit den in der Startelf erwarteten Bundesliga-Profis Matthijs de Ligt (FC Bayern), Donyell Malen (Dortmund) und Xavi Simons (Leipzig) soll die EM-Zuversicht weiter wachsen. «Wir wollen dranbleiben. Wir wissen, was wir auf den Platz bringen müssen. Wir müssen einen Groove reinbekommen», sagte Andrich, der neue Vorarbeiter: «Dann können wir schon was reißen.» Bei der EM.

Von Klaus Bergmann und Arne Richter, dpa

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