HSV-Kapitän Sebastian Schonlau musste nach der Roten Karte früh den Platz verlassen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Marcus Brandt/dpa)

Nach dem für ihn verkorksten 108. Hamburger Stadt-Derby verabschiedete sich HSV-Trainer Tim Walter von seinem Kollegen Timo Schultz mit den Worten: «Ein Mal sehen wir uns noch im Rückspiel.»

Es klang fast trotzig und macht doch deutlich, wie sehr das 0:3 seines Hamburger SV beim Stadtrivalen FC St. Pauli um Schultz an ihm und seinen Spielern nagte. Einem weiteren Derby beim Nachbarn vom Millerntor möchte sich Walter am liebsten durch den Aufstieg aus der 2. Fußball-Bundesliga entziehen.

Zum vierten Mal nacheinander verlor der große HSV das Gastspiel beim Underdog vom Kiez – Wiederholung unerwünscht. «Das macht keinen Spaß, hier zu verlieren», stellte HSV-Spieler Jonas Meffert genervt fest.

Sechs Spiele war der Hamburger SV in der 2. Bundesliga ungeschlagen und trat die kürzeste Dienstreise der Saison als Tabellenführer an. Saisonübergreifend acht Siege in der Fremde hatte die Mannschaft geschafft und einen Liga-Rekord aufgestellt. Doch alle schönen Zahlen waren dahin nach einem denkwürdigen Abend mit der höchsten Derby-Niederlage seit dem 1:4 vom 14. Februar 1960 in der Oberliga Nord.

Rot für HSV-Kapitän Schonlau

Dass die berechtigte Rote Karte für HSV-Kapitän Sebastian Schonlau (28.) nach einer Notbremse gegen St. Paulis Stürmer Etienne Amenyido der Schlüsselmoment des Spiels war, darüber waren sich alle einig. «Die entscheidende Szene war natürlich die Rote Karte», sagte Walter. Schultz stimmte der Einschätzung zu: «Ich denke, dass der Platzverweis für Schonlau großen Einfluss aufs Spiel genommen hat.»

Trotz Unterzahl sah Walter seine Mannschaft nicht aufgeben. Auch mit zehn Mann habe sie das Spiel «eigentlich im Griff» gehabt. «Wir haben mehr Kontrolle und mehr Ballbesitz. Wir haben versucht, unser Spiel durchzuziehen, dafür stehen wir auch», sagte er. Aber diesmal blieb der Erfolg aus.

Was für ihn bedenklicher sein muss: Schon vor dem Platzverweis hatte sich der HSV gegen den FC St. Pauli schwergetan. Schultz hatte seine Formation binnen weniger Tage von Dreier- auf Fünfer-Abwehrkette fortgebildet («Die Jungs haben das heute richtig gut umgesetzt.»). Die Gäste kamen damit nur schwer zurecht, das frühe Anlaufen behagte ihnen nicht.

Ist das nur eine Formdelle oder der mögliche Beginn einer kleineren Krise? Wie schon beim 1:1 gegen den 1. FC Kaiserslautern fehlten auch am Millerntor die spielerische Leichtigkeit und die Dominanz, mit der der HSV sonst seine Gegner erdrückt. «Wir wissen, was wir diese Saison schon geleistet haben. Wir wissen, was wir für eine Qualität haben und wir lassen uns von so was nicht unterkriegen. Wir ziehen unser Ding durch», gab sich Torwart Daniel Heuer Fernandes kämpferisch.

Derby-Sieg soll St. Pauli Auftrieb geben

Was ein Sieg im Derby bewirken kann, zeigte sich beim FC St. Pauli: War da mal eine Krise? Waren da sieben Spiele ohne Sieg? War da die Gefahr des Absturzes in die Gefahrenzonen? Eric Smith (61.), Marcel Hartel (74.) und David Otto (89.) schossen ihre Fans vor den 29.205 Zuschauern im ausverkauften Millerntor-Stadion in ein schon lange vermisstes emotionales Hoch.

«Wir hoffen, dass uns dieser Sieg im Derby jetzt Auftrieb für die weitere Saison gibt. Wenn wir zeigen, was wir können, gehören wir meiner Meinung nach zu den Top-Teams der Liga», sagte Kapitän Jackson Irvine. «Der Sieg gibt uns Selbstvertrauen», war Schultz überzeugt. «Jetzt geht’s Schlag auf Schlag für uns weiter.»

Das gilt für beide Mannschaften: In der zweiten Runde des DFB-Pokals reisen beide zu hochkarätigen Gegnern. Der HSV muss am Dienstag zum Titelverteidiger RB Leipzig. Der FC St. Pauli ist einen Tag später beim Bundesliga-Überraschungsteam SC Freiburg zu Gast. «Wir haben am Dienstag wieder etwas vor», kündigte Heuer Fernandes für den HSV an. Für St. Paulis Co-Kapitän Leart Paqarada ist klar: «Wir reisen selbstbewusst in den Breisgau.»

Das Gefühl, Stadtmeister zu sein, dürfen er und seine Teamkollegen erst einmal noch ein halbes Jahr genießen. Am 29. Spieltag im kommenden April kommt es im Volksparkstadion zur nächsten Begegnung der Rivalen. Nicht nur Walter hofft auf HSV-Seite, es möge die vorerst letzte sein.

Claas Hennig, dpa

Von