Argentiniens Trainer Lionel Scaloni gilt als Architekt des Erfolges. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Tom Weller/dpa)

Lionel Scaloni trägt fast immer Trainingsanzug, und allein das sagt schon viel über ihn aus. Ob vor dem Spiel, während des Spiels oder danach: bei der Fußball-WM in Katar sieht man den jüngsten Trainer des Turniers fast immer in Jogginghose.

Der 44-Jährige ist alles andere als ein Selbstdarsteller oder Exzentriker, am Mikrofon wirkt er in der Regel sogar eher langweilig. Was möglicherweise auch daran liegt, dass er für die Rolle des Nationaltrainers von Argentinien eigentlich nie vorgesehen war. Trotzdem stehen die Argentinier mit ihm nun im großen Finale am Sonntag gegen Frankreich. Oder besser gesagt: gerade deswegen.

«Er hat einfach dieses Menschliche und diese Wärme, und so, glaube ich, führt er auch Argentinien», erzählte Ex-Weltmeister Miroslav Klose jüngst der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Beide haben von 2011 bis 2013 gemeinsam für den italienischen Erstligisten Lazio Rom gespielt. In seiner Biografie «Miro» erinnert sich der WM-Rekordtorschütze an gemeinsame Restaurantabende mit dem ehemaligen Verteidiger, an Gespräche über Taktik oder Trainingsinhalte. Er habe schon damals tiefer gedacht als ein Spieler, sagte Klose. Scalonis wohl größtes Werk aber ist die Einheit, die er aus Lionel Messi und Co. geformt hat. «Wenn man sieht, wie die füreinander einstehen: Das ist genau sein Werk», meinte Klose.

Nach WM 2018: Scaloni übernimmt

Es gibt noch heute einige, die darüber rätseln, wie dem Mann aus der ländlich geprägten Kleinstadt Pujato das gelungen ist. Klar, Argentinien hat Messi, und Messi überstrahlt bei dieser WM in Katar bislang alle. Aber ansonsten? Was die reinen Namen angeht, hat der zweifache Weltmeister die wohl unspektakulärste Truppe seit vielen Jahren. Es gibt keinen Higuain, Agüero, Riquelme, Verón oder Tévez mehr. Stattdessen gehören Spieler wie Martínez, Romero, Fernández, Mac Allister oder Álvarez zum Gerüst dieser Truppe. Außerdem natürlich Messi, der alles zusammenhält. Und der vielleicht so gut ist im Nationaltrikot wie nie zuvor. Auch das ein Verdienst Scalonis.

Als er 2018 vom Co-Trainer zum Chef aufstieg, war Messi nicht mal da. Nach der vergeigten WM in Russland hatte der Verband sich von Jorge Sampaoli getrennt, ein teures Trainer-Missverständnis, für das die Argentinier einst über eine Million Euro an den FC Sevilla bezahlt hatten. Nun fehlte das Geld für einen neuen Coach, aber immerhin war der unerfahrene Scaloni ja schon da. Also sagte man: Mach‘ das mal für ein paar Spiele, bis wir einen Neuen haben. Scaloni machte also. Es gab nur ein Problem. Nach der missratenen WM war Messi abgetaucht. Ob er nochmal für Argentinien auflaufen würde? Unklar. Scaloni und sein Co-Trainer Pablo Aimar riefen ihn an. 

Der Plan des Trainers geht auf

Das war gleich zu Beginn ein cleverer Schachzug des Neulings, weil Aimar das große Idol des sechsfachen Weltfußballers ist. «Als wir die Mannschaft übernommen haben, haben wir zusammen mit Pablo ein Videotelefonat mit Messi geführt und gesagt: „Leo, wir werden die Selección für diese Spiele übernehmen und wir wollen dich wissen lassen, dass die Türen offen sind – aber dass es vielleicht besser ist, wenn du erst mal nicht kommst», schilderte Scaloni der «Süddeutschen Zeitung» dieses Gespräch. Er wolle erst eine gefestigte Truppe haben, bevor Messi sich einreihen sollte, erklärte Scaloni. Der Plan ging auf. 

Scaloni formte ein Fundament und rundete es mit Messi ab. Die vorläufige Krönung: der Gewinn der Copa América 2021, Argentiniens erster Titel seit 28 Jahren. Das erhoffte Nonplusultra: der goldene WM-Pokal am Sonntag im Lusail-Stadion. Es wäre die Abrundung von Messis glanzvoller Karriere, sein sehr wahrscheinlich letzter Höhepunkt im Trikot der Nationalelf, die WM 2026 will der 35-Jährige nicht mehr spielen. Beim großen Finale werden sich alle Augen auf ihn und Frankreichs Ausnahmekönner Kylian Mbappé richten. Scaloni weiß das, und es stört ihn nicht. Ganz im Gegenteil: Auch im größten Spiel seiner noch jungen Trainerkarriere wird der frühere Rechtsverteidiger wieder im Trainingsanzug unterwegs sein.

Nils Bastek, dpa

Von